Thema der Woche

3. Juni 2002

Erneuter Vorstoß zur ITK-Überwachung

Am vergangenen Freitag hat die Bundesratsmehrheit auf Antrag des Landes Niedersachsen den "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Ermittlungsmaßnahmen wegen des Verdachts sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen" auf den Weg gebracht. Hinter dem Wortungetüm und unter dem Deckmäntelchen des Kindermissbrauchs verstecken sich Grundrechtseinschränkungen durch eine Ausdehnung der Überwachung von Internet und Telekommunikation, die bei Datenschützern und Bürgerrechtlern auf Befremden und deutlichen Widerstand stoßen.

Der Vorsitzende der [externer Link] Deutschen Vereinigung für Datenschutz, Dr. Thilo Weichert, kommentiert: "Was hier unter dem Vorzeichen der Bekämpfung des Kindermissbrauchs betrieben wird, zeugt von Skrupellosigkeit im Umgang mit unseren Grundrechten in der Informationsgesellschaft. Kindermissbrauch ist ein widerliches Verbrechen, das mit geeigneten und verhältnismäßigen Mitteln aufgeklärt und bekämpft werden muss. Die Vorratsdatenspeicherung gehört hierzu nicht. Es zeugt nicht von demokratischer Kultur, wenn derart zentrale Fragen nebenbei unter falschem Vorzeichen und ohne Diskussion kurz vor Wahlen durchgezogen werden sollen. Verfassungswidrige Regelungen können nicht dadurch entschuldigt werden, dass sie für Wahlkampfzwecke für nützlich angesehen werden."

Selbst der häufig eher zurückhaltende [externer Link] Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Dr. Joachim Jacob, sieht darin eine "unakzeptable Vorratsspeicherung". Der Vorschlag verpflichte die Internet- und Telekommunikations-Provider zur 'vorsorglichen' Speicherung der Verbindungs-, Nutzungs-, Bestands- und Abrechnungsdaten von Millionen rechtstreuer Bürger. Diese Daten sollen für die Erfüllung sämtlicher Aufgaben von Polizei und Verfassungsschutz bereitstehen. Die Dauer der Speicherung und die Voraussetzungen für den Zugriff auf diesen riesigen Datenbestand sollen durch neue Mindest- und Höchstfristen bestimmt werden. Dr. Jacob: "Ich lehne entschieden ab, dass diese Fristen nicht der Gesetzgeber, sondern die Exekutive durch Rechtsverordnung festlegen soll. Dies verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz, wonach die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe dem Parlament vorbehalten sind."

Noch drastischere Worte findet das [externer Link] Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) und spricht von einem sabotagerartigen "Anschlag auf das Recht auf unbeobachtete Kommunikation". In einer Pressemitteilung heißt es dazu: "Zum letztmöglichen Zeitpunkt in dieser Legislaturperiode, versteckt in einem ganzen Paket von Gesetzesanträgen, wird im Bundesrat zum wiederholten Mal der Versuch gestartet, den Datenschutz für Internet und Telekommunikation fast vollkommen auszuhebeln. Es würde sich dabei um eine Systemveränderung von gravierendem Ausmaß handeln. Die Verfechter des Gesetzesvorschlages scheuen sich nicht einmal, ihr Vorhaben ausdrücklich als 'Vorratsspeicherung' zu bezeichnen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht die 'Vorratsspeicherung' seit fast 20 Jahren als Synonym für eine verfassungswidrige staatliche Sammelwut, bei der Daten, die vielleicht irgendwann einmal für staatliche Zwecke nützlich sein könnten, gespeichert werden."

Der Bundesratsvorstoß stellt das bisherige Teledienstedatenschutzrecht auf den Kopf und ignoriert völlig die erst kürzlich vom Gesetzgeber im Elektronischen Geschäftsverkehr-Gesetz (EGV) bestätigten Grundsätze der Datenvermeidung, Datensparsamkeit und der Möglichkeit anonymer Nutzungen für das Internet. Datenschutz bei Telekommunikation und Internetnutzung bedeutet bislang die gesetzlich verbriefte Sicherheit aller Bürger, dass nur die für die Abwicklung und Abrechnung der Nutzung erforderlichen Daten überhaupt gespeichert werden dürfen. "Wer plant, jeden Klick im Internet, jede E-Mail, jede Pager-Nachricht und jede SMS aufzuzeichnen und die Möglichkeit der Auswertung durch Polizei und Geheimdienste zu schaffen, der legt das Fundament für eine 'Gedankenpolizei'. Unser Rechtsstaat würde endgültig zum Präventions- und Überwachungsstaat mutieren", resümiert auch der [externer Link] Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen.

In der vorgesehenen Protokollierungspflicht sieht das ULD einen so gewichtigen Vorgang, dass er weitere massive Datenschutzverschlechterungen, die im ebenfalls im Gesetzespaket des Bundesrates enthalten sind, in den Hintergrund drängt. Dazu gehören unter anderem die "Standorterkennung eines aktiv geschalteten Mobiltelefons", die "Überwachung der Telekommunikation auch zu Fahndungszwecken" und "anfallende Einbuchungsdaten von Mobiltelefonen in Echtzeit und im automatisierten Verfahren an die zuständigen Stellen zu übermitteln" (Zitate aus einer [externer Link] Pressemitteilung des Bundesrats).