Thema der Woche

11. September 2002

11.9.02: Cyberterror und Datenschutzbedenken

Anlässlich des Jahrestages der Terroranschläge von 11. September 2001 erklärte Prof. Dr. Hartmut Pohl, Direktor des Instituts für Informationssicherheit (ISIS), dass terroristische Angriffe in der Welt der Informationstechnik bisher "überhaupt keine Rolle spielen". Man müsse allerdings in Schlüsselbranchen wie der Automobil-, Chemie- und Pharmaindustrie, bei Finanzdienstleistern, Verkehr und Versorgern künftig mit Cyberterror rechnen, auch wenn heute noch keine Anzeichen dafür sprächen.

Vor allem fordert Pohl aber ein wachsames Auge nach innen: Aus einer ganzen Reihe von Untersuchungen wisse man, dass schwerwiegende Angriffe auf Unternehmen "ausschließlich von Innentätern oder von mit Insiderwissen ausgestatteten Tätern begangen werden: von den eigenen Mitarbeitern oder von den Mitarbeitern der Auftraggeber, Zulieferer, Kooperationspartner und von Outsourcern." In Sicherheitsdiskussionen werde diese Innentäterproblematik völlig unterschätzt.

Pohl empfiehlt daher dringend, Intrusion Detection und Response Systeme (IDS) gezielt zur Erkennung von Innentätern einzusetzen und Geschäftsprozesse oder zumindest Schlüsselinfrastrukturen durch Public Key Infrastructures (PKI) zur Verschlüsselung gespeicherter und übertragener Daten sowie einer zuverlässigen Authentifizierung zu sichern. Wo Unternehmen die aufwändigen, aber unverzichtbaren Sicherheitsmaßnahmen nicht selbst leisten könnten oder wollten, biete sich ein Outsourcing als Managed Security an. Dabei müsse man allerdings unbedingt Service Level Agreements (SLA) vereinbaren und das Sicherheitsniveau des Outsourcers ständig kontrollieren. Essentiell seien zudem eine unternehmensübergreifende Sicherheitstrategie und vollständig und zeitnah eingespielte Sicherheitspatches.

Eine ganz andere Bilanz zieht die [externer Link] Deutsche Vereinigung für Datenschutz e. V. (DVD): In der Folge des 11. Septembers seien – ohne kritische gesellschaftliche Debatte – so genannte Terrorismusbekämpfungsgesetze erlassen worden, die ohne Not unseren Grundrechtsschutz in Frage stellen. Der DVD-Vorsitzende, Dr. Thilo Weichert kommentiert: "Die Gesetze, wie zum Beispiel die erleichterten Möglichkeiten der Rasterfahndung, der Telekommunikationsüberwachung oder der Ausländerkontrolle, haben bisher nichts Nachweisbares zur Aufklärung terroristischer Straftaten beigetragen und sind hierzu auch nicht geeignet. Die teilweise zweifellos erfolgreiche Arbeit der Ermittlungsbehörden beruht nicht auf den neuen Kompetenzen, über die völlig Unverdächtige in Ermittlungen hineingezogen und dabei real geschädigt werden, sondern auf klassischer, schon bisher zulässiger kriminalistischer Arbeit."

Besonders die bundesweite Rasterfahndung nach "Schläfern" sei (und das voraussehbar) ein "gewaltiger, finanziell und personell aufwändiger Schlag ins Wasser". Aber auch die massiv verschärfte Ausländerüberwachung habe lediglich eine Verunsicherung und Verängstigung der Betroffenen bewirkt. Letztlich hätten die Sicherheitsexperten bis heute keinen Beleg dafür erbracht, dass die beschlossenen Grundrechtseingriffe effektiv gewesen wären, obwohl eine solche Evaluation der sicherheitsbehördlichen Tätigkeit sogar Bestandteil der neuen Gesetze ist. Selbst Maßnahmen zur Vorbereitung dieser Evaluation seien neun Monate nach Verabschiedung der Gesetze nicht erkennbar.

Weichert sieht es als "hochgradig beängstigend" an, dass Politiker fast jeder Couleur im Schatten des 11. Septembers solche Maßnahmen beschlossen haben und weiter vorantreiben, scheinbar "oft ohne über die Gefahren zum Beispiel für den Datenschutz auch nur nachzudenken". Es wäre ein später, fataler Sieg der Terroristen, wenn unser Rechtsstaat sich unter dem Vorwand ihrer Bekämpfung selbst aufgäbe. Für die Zeit nach der anstehenden Bundestagswahl wünscht sich der Datenschützer: "Nicht noch weitere Befugnisse der Terrorismusbekämpfung sind nach dem 22. September 2002 gefordert, sondern eine wissenschaftliche Bewertung der bisherigen Kompetenzen, die Feststellung der grundrechtlichen Auswirkungen und die Beschneidung des ineffektiven und unverhältnismäßigen Wildwuchses an Ermittlungsbefugnissen."