Thema der Woche

4. September 2002

VSI mahnt: Vorsicht vor Prognosen

Analysten, Marktforscher und Gurus – sie alle haben viel zu sagen, wenn es um Marktentwicklungen und Trendbewertungen, aber auch um Aktienkurse und Bonität von Unternehmen geht. Der [externer Link] Verband der Softwareindustrie (VSI) warnt dabei vor kritiklosem Glauben: "Auch Experten können irren und es wäre ein Fehler, sich hundertprozentig auf die Aussagen der Beobachter zu verlassen." Viele Branchen seien erst durch Negativ-Prognosen ins Minus gestürzt worden. Die Bewertungen der Analysten für die betroffenen Unternehmen könnten vor allem dann fatal sein, wenn sie für die Finanzierung oder die Kundenentscheidung ausschlaggebend würden.

Kein Ende der Konjunkturflaute sehe etwa derzeit der Bundesverband deutscher Banken und korrigiere damit seine Erwartungen vom Frühjahr. Mehr Pessimismus zeigte schon im Oktober 2001 die Europäische Zentralbank, die von einer Wachstumsschwäche mindestens bis zum Frühjahr dieses Jahres ausging. Immerhin meinte auch sie, im Laufe des Jahres 2002 eine konjunkturelle Erholung erwarten zu dürfen. Der VSI sieht Kritiker der Prognosen durch den US-Notenbankchef Alan Greenspan bekräftigt. Er habe bereits im März 2001 Zweifel an den derzeitigen Berechnungsmethoden zum Wirtschaftswachstum geäußert, die der Dynamik im technologischen Wandel nicht mehr gewachsen seien. Das gelte besonders für die High-Tech-Branchen.

Zumal sich auch die "Großen" nicht einig sind: Ein minimales Wachstum von gerade einmal einem Prozent hätte die Giga Information Group vor kurzem den europäischen IT-Budgets prophezeit. Ganz anders habe das noch im Oktober 2001 eine Studie des European Information Technology Obervatory (EITO) gesehen: Ganze 6,8 Prozent Anstieg für 2001 und 7 Prozent für 2002 bei Informationstechnik und Telekommunikation wurden hier dem europäischen Markt vorhergesagt.

Kritisch betrachtet der VSI auch die Abhängigkeit von den Börsen: "So tragen die Analysten-Aussagen zuweilen zur Kreditentscheidung von Banken bei, sie beeinflussen die Börsenkurse und damit wiederum die Investitionsfähigkeit der Trendsetter in den jeweiligen Märkten. Was hilft es einem Unternehmen, Technologieführer zu sein und auf eine ansehnliche Palette namhafter Kunden verweisen zu können, wenn die Aktienkurse in den Keller gehen? Der Grund dafür muss nicht immer in den realen Umsatzzahlen liegen, oftmals genügen schon die negativen Erwartungen der Börsengurus."

Wie wackelig die Prognosen sein können, belegt laut VSI auch eine Untersuchung aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Uni Essen vom November 2001. 38,6 Prozent der zum Kauf empfohlenen Aktien hätten im Beobachtungszeitraum Januar bis September 2001 für Kleinanleger Verluste bedeutet. Aus der gleichen Quelle komme harsche Kritik an den einschlägigen Publikumszeitschriften: Sie seien gerade in schwierigen Zeiten nur wenig als Ratgeber für kurzfristige Renditen bei Aktiengeschäften geeignet. Zu ihrer Entschuldigung führt der VSI an, dass sie teilweise auf Informationen aus den Unternehmen selbst zurückgreifen. Gerade diese hätte ein Düsseldorfer Börsenguru aber – zumindest für die am neuen Markt notierten Unternehmen – als Luftblasen und zu 80 Prozent falsch bezeichnet.

Der VSI befürchtet, dass Kunden Investitionen herauszögern, weil "irgendwo" Zweifel an der Reife der Technologie zu lesen waren oder weil man sich nicht an wackelnde Unternehmen binden möchte. Venture Capital werde plötzlich in andere High-Tech-Märkte umgelenkt, Banken zögerten mit der Verlängerung von Krediten und der Geldstrom in manche IT-Sektoren versiege – weil eben Experten den Markt als zu schwach ansähen. Dies könne selbst solide Firmen ernsthaft gefährden und sei für Unternehmensgründer oft das Aus. Der VSI warnt deshalb davor, die allfälligen Prognosen zum alleinigen Kriterium von Investitionsentscheidungen zu machen: "Um ein Unternehmen zu beurteilen oder eine Investitionsentscheidung in eine Technologie zu treffen, sollte man sich auf vielerlei Quellen stützen. Prognosen und Analystenmeinungen dürfen nicht ausschlaggebend sein. Vielmehr gilt es, Referenzkunden zu befragen, Teststellungen vorzunehmen und sich mit der Unternehmensgeschichte und -leitung vertraut zu machen", erläutert Rudolf Gallist, Vorstandsvorsitzender des VSI.