Der digitale Tachograph

Ordnungsmerkmale

erschienen in: <kes> 2005#6, Seite 61

Rubrik: BSI Forum

Schlagwort: Sichere Messtechnik

Autor: Von Detlef Pfeiffer und Dr. Marion Grüner, Siemens VDO Automotive AG

Zusammenfassung: Siemens VDO hat, entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des Anhangs I (B) der Verordnung (EG) Nr. 1360/2002 zur Anpassung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr und den speziellen Anforderungen der Nutzfahrzeugindustrie, den digitalen Tachographen (DTCO) zur Serienreife entwickelt. Dieser wurde inzwischen in der aktuellen Version bei der Zertifizierungsstelle beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert, vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zugelassen und bereits an die Nutzfahrzeughersteller geliefert.

Seit Anfang der 70er-Jahre bestehen in der EU Vorschriften für den Einbau von Kontrollgeräten beziehungsweise Tachographen in Fahrzeuge für die Güterbeförderung ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht und Fahrzeuge für die Personenbeförderung mit mehr als neun Personen. Es folgte eine stetige Weiterentwicklung hin zu elektronischen Geräten mit verbesserter Sicherheit. Am 13. Juni 2002 wurde die Verordnung 1360/2002 des Anhangs I (B) veröffentlicht, in der das digitale EG-Kontrollgerät (digitaler Tachograph) detailliert beschrieben wird.

[Foto: Siemens Pressebild]
Abbildung 1: Digitaler Tachograph von Siemens VDO

Gesetzliche Anforderungen

Systemkonzept

Das digitale Kontrollgerät besteht aus der Fahrzeugeinheit (DTCO), Weg-/Geschwindigkeitsgeber (KITAS) mit Verbindungskabel und Tachographenkarten (Chipkarten).

Die Fahrzeugeinheit (DTCO) registriert, speichert und bringt Daten zur Anzeige. Parallel können Informationen im Kombiinstrument angezeigt werden. Der DTCO beinhaltet zwei Chipkartenleser, Drucker, Echtzeituhr, Massenspeicher, Bedientasten sowie ein Display zum Abruf der Lenk- und Ruhezeiten mit gespeicherten Detail- und Summeninformationen. Dateninhalte des Massenspeichers sind:

Die Gestaltung der Bedieneroberfläche (Display, Menüführung, Bedientasten etc.) ist dem Hersteller überlassen. Die Anzeige von Warnungen erfolgt automatisch. Der DTCO hat DIN Radioformat und wird im direkten Zugriffs- und Sichtbereich des Fahrers eingebaut. Eine Info-Schnittstelle an der Gerätefront (RS 232) dient zum Download aus dem Massenspeicher oder der Fahrerkarte. In Abhängigkeit des gesteckten Tachographenkartentyps erhalten autorisierte Personen Zugriff auf die zugeordneten Daten (vgl. Abb. 2).

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Abbildung 2: Funktionsblöcke des DTCO

Über die Prüf-/Programmierschnittstelle an der Frontseite oder den CAN-Bus im Fahrzeug können nach Stecken der Werkstattkarte und zugelassener Prüfgeräte die gesetzlich vorgeschriebenen regelmäßigen Überprüfungen vorgenommen werden (z. B. StVZO § 57b).

Fahrer- und fahrzeugspezifische Informationen (z. B. Geschwindigkeit, Wegstrecke, Fahreridentifikation) stehen via CAN-Busschnittstelle zur Verarbeitung in der Bordelektronik des NFZ zur Verfügung. Der intelligente Weg-/Geschwindigkeitsgeber KITAS ist das zweite Kernelement des digitalen Tachographensystems. Dieser KITAS-Sensor besteht aus einem Prozessor, einem Interface zur Fahrzeugeinheit mit verschlüsselter Übertragung sowie einem mechanischen Interface zum Getriebe.

Der DTCO überwacht die Kommunikation mit dem KITAS. Zur Manipulationserkennung wird das kryptographische Verfahren Triple-DES auf Basis des Kommunikationsprotokolls nach ISO 16844 genutzt. Die Speicherung von Manipulationen erfolgt im Massenspeicher der Fahrzeugeinheit (DTCO) und in den Tachographenkarten. Der KITAS-Sensor ist für die besonderen Anforderungen der Nutzfahrzeughersteller, wie zum Beispiel im Bezug auf Vibrationen beim Einsatz im LKW-Getriebe ausgelegt und "End-of-Line"-programmierbar.

Bei den Tachographenkarten handelt es sich um fahrzeugtaugliche intelligente Chipkarten mit mindestens 16 kByte Speicherinhalt. Die Kartentypen unterscheiden sich in den Dateninhalten und der File-Struktur. Die Gültigkeit der Tachographenkarten beträgt:

Die Tachographenkarten müssen die Normen Smartcard Integrated Circuit Protection Profile (IC PP, Profil für den Schutz von Chipkarten-ICs) und Smartcard Integrated Circuit with Embedded Software Protection Profile (ES PP, Profil für den Schutz von Chipkarten-ICs mit eingebetteter Software) erfüllen. Für die physischen Eigenschaften gelten die Standards ISO/IEC 7810 und ISO/IEC 7816. Die Fahrerkarte enthält folgende Speicherinhalte:

Für Ausgabe und Personalisierung der Karten sind die jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten zuständig. Auch die Werkstattkarte, erforderlich für die Inbetriebnahme (Aktivierung) und Programmierung, kann nur bei den zuständigen Stellen beantragt werden.

Mithilfe eines in der Fahrzeugeinheit integrierten, grafikfähigen und fahrzeugtauglichen Druckers werden Papierbelege erstellt (vgl. Abb. 3). Das Papier muss nach dem Bedrucken in Bezug auf Lichtintensität, Feuchtigkeit und Temperatur mindestens ein Jahr lesbar und identifizierbar sein.

[Faksimile]
Abbildung 3: DTCO-Ausdruck

Die Auswertung der auf Fahrerkarten und Massenspeicher hinterlegten Informationen wird durch die Adaption bereits im Markt eingeführter Software-Familien erfolgen:

Fahrer- und fahrzeugspezifische Informationen (z. B. Geschwindigkeit, Wegstrecke, Fahreridentifikation) stehen über eine anpassbare CAN-Bus-Schnittstelle zur weiteren Verarbeitung in der Bordelektronik verfügbar (vgl. Abb. 4).

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Abbildung 4: DTCO-Systemumfeld

Rahmenbedingungen

Bauartgenehmigungen

Erforderlich sind ein Sicherheits-, ein Funktions- und ein Interoperabilitätszertifikat. Das Papier für den Drucker unterliegt ebenfalls einer Bauartgenehmigung. Modifikationen (Software, Hardware, Materialart) sind der bauartgenehmigenden Behörde anzuzeigen. Diese bestätigt die Konformität mit der erteilten Bauartgenehmigung oder fordert die Erweiterung des Funktions-, Sicherheits- oder Interoperabilitätszertifikates im Rahmen eines Nachtrages.

Anforderungen an die Systemsicherheit

Gemäß den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen im Appendix 10 der Verordnung 1360/2002 muss das digitale Tachographensystem bestehend aus Fahrzeugeinheit, Weg-/Geschwindigkeitsgeber und Chipkarten die Evaluationsstufe E3 hoch erreichen.

Anforderungen an den Geräteproduzenten, Fahrzeughersteller und Servicewerkstatt

Die im Anhang I (B) beschriebenen Sicherheitsforderungen nach ITSEC Level E3 hoch stellen für die Produktion der Tachographen eine neue Herausforderung dar. Das Einbringen der Krypto-Schlüssel in die Geräte muss in einer gesicherten Umgebung erfolgen. Dabei muss wie beim Gerät selbst jederzeit die Vertraulichkeit und die Integrität der Daten gewahrt werden.

Auch für die einbauenden Nutzfahrzeughersteller und die Servicewerkstätten gelten die im Anhang I (B) beschriebenen Sicherheitsanforderungen. Die Installation des digitalen Tachographensystems muss in einer "sicheren Umgebung" erfolgen, sodass eine Kompromittierung der Daten verhindert werden kann. Das "Scharfmachen" des digitalen Tachographensystems erfolgt mittels der in dem jeweiligen EU-Mitgliedsland ausgegebenen Werkstattkarten.

Die in Deutschland geltende Straßenverkehrszulassungsordnung (§ 57b StVZO) legt den Zyklus der Nachprüfungen für den analogen und den digitalen Tachographen fest; mit Einführung des digitalen Tachographensystems wird hierbei der Verantwortungsbereich der Servicewerkstätten ausgeweitet. Bei den Nachprüfungen sind die Servicewerkstätten verpflichtet, das gesamte Tachographensystem auf gesetzeskonforme Installation hin zu untersuchen.

Ausblick

Auf Basis der Entscheidung des technischen Anpassungsausschusses über den Anhang I (B) sowie den gemeinsamen Definitionsprojekten von Industrie und Gesetzgeber wurde von Siemens VDO die neue digitale Tachographengeneration DTCO zur Serienreife entwickelt Die neuen Geräte werden bereits an die Nutzfahrzeughersteller geliefert. Im Vergleich zur Vorgängergeneration weist der neue DTCO eine höhere Integration in das Fahrzeugsystem mit einem deutlich höheren Sicherheitsstandard auf. Dies bedeutet, dass mit Einführung des digitalen Tachographen neue Techniken im Gütertransport sowie neue Möglichkeiten in der Kontrolle der Sozialvorschriften eingesetzt werden. Erstmals ist eine EDV-kompatible Onboard-Erfassung der Fahrer und Fahrzeuginformationen ohne Transformation möglich. Die Daten werden in sicherer Umgebung gespeichert. Die intelligenten Chipkarten, die zertifiziert sind, stellen einen bisher einzigartigen Datenträger, der hohe Sicherheitsanforderungen erfüllt, im täglichen Umgang unter rauen Fahrzeugbedingungen dar. Es ist zu erwarten, dass dies die Ideen für den Einsatz neuer Informationstechnik im Nutzfahrzeug vom Fahrzeughersteller bis zum Flottenbetreiber beflügelt.

Literatur

[1]
Verordnung (EG) Nr. 2135/98 des Rates vom 24. September 1998 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr und der Richtlinie 88/599/EWG über die Anwendung der Verordnungen (EWG) Nr. 3820/85 und (EWG) Nr. 3821/85, [externer Link] http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/1998/l_274/l_27419981009de00010021.pdf

[2]
Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, [externer Link] http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=31985R3820&model=guichett

[3]
Verordnung (EG) Nr. 1360/2002 der Kommission vom 13. Juni 2002 zur siebten Anpassung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates über das Kontrollgerät im Straßenverkehr an den technischen Fortschritt , [externer Link] http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2002/l_207/l_20720020805de00010252.pdf

[4]
Kriterien für die Bewertung der Sicherheit von Systemen der Informationstechnik (ITSEC); Vorläufige Form der harmonisierten Kriterien, Version 1.2, Juni 1991, [externer Link] www.bsi.bund.de/zertifiz/itkrit/itsec-dt.pdf