Großes Aufheben Archivierungspflichten für E-Mails und andere digitale Daten

Ordnungsmerkmale

erschienen in: <kes> 2004#6, Seite 8

Rubrik: Management und Wissen

Schlagwort: Archivierungspflichten

Zusammenfassung: Bis zu zehn Jahre lang müssen bestimmte geschäftliche Dokumente archiviert werden, egal ob in elektronischer oder in Papierform. Die rechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen vermeidet juristische und steuerliche Probleme und hilft zudem, die Datenflut im Archiv auf das Notwendige zu begrenzen.

Autor: Von Horst Speichert, Stuttgart

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[Buch-Cover: Praxis des IT-Rechts]Edition <kes>

Nicht immer genügt der Rahmen eines Fachartikels, um eine Thematik ausgiebig darzustellen; darum gibt es letztlich nicht nur Zeitschriften, sondern auch Bücher. Um IT-Profis ausgewählte Wissensbereiche im Umfeld der Informations-Sicherheit in gut aufbereiteter Form ausführlich zu vermitteln, gibt es künftig im Vieweg-Verlag die Edition <kes>.

Als erster Titel dieser Reihe erscheint im Dezember 2004 die "Praxis des IT-Rechts" von Horst Speichert, in dem der Autor des vorliegenden Beitrags zu den Aufbewahrungsfristen auch auf etliche weitere Rechtsfragen der Internetnutzung und der IT-Security eingeht. Aus dem Erfahrungsschatz der täglichen Anwaltspraxis vermittelt er dem Leser in allgemeinverständlicher Form unter anderem Fragen des Datenschutzes, der Überwachung von Mitarbeitern und des Risikomanagements. Behandelt werden auch Haftungsfragen, rechtssicherer Webauftritt sowie die Gestaltung von Verträgen, etwa im IT-Outsourcing oder im E-Commerce.

Für das erste Quartal 2005 sind die nächsten Titel der Reihe zu den Themen Penetrations-Tests sowie IT-Outsourcing vorgesehen.

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Die Umstellung auf schnelle elektronische Kommunikationsformen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass umfangreiche gesetzliche Archivierungspflichten auch für digitale "Akten" und elektronischen Briefverkehr gelten. Da technische Datensicherung (Storage- und Backup-Systeme) allerdings erhebliche Kosten verursacht, sollte man andererseits auch nicht zu viel des Guten betreiben. Eine umfassende Kenntnis der Aufbewahrungspflichten, besonders aus dem Handels- und Steuerrecht, hilft daher nicht nur juristischen Ärger zu vermeiden, sondern kann auch Geld sparen.

Handelsrecht

Jeder Kaufmann (also auch GbR, GmbH, AG) ist zur geordneten Aufbewahrung geschäftlicher Unterlagen verpflichtet (§ 257 Abs. 1 HGB). Dies betrifft Handelsbücher, Bilanzen, Jahresabschlüsse und Lageberichte ebenso wie die empfangenen und versandten Handelsbriefe, Buchungsbelege, erforderliche Arbeitsanweisungen und sonstige Organisationsunterlagen. Dabei ist der Begriff des Handelsbriefes nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sehr weit definiert: Es genügt ein entfernter, lockerer Zusammenhang mit betrieblichen Interessen.

Umfasst sind alle Vorgänge eines Kaufmanns, die zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören, also etwa die Geschäfte zur Gewinnerzielung und Erhaltung von Kunden wie Angebot und Annahme von Verträgen, Auftragsbestätigungen, Mängelrügen und so weiter. Eingeschlossen sind auch Hilfs- und Nebengeschäfte wie beispielsweise Arbeitsverträge oder der Bau von Gebäuden. Nicht umfasst sind lediglich reine Privatgeschäfte des Kaufmannes. Um komplizierte Abgrenzungsfragen zu vermeiden, sollte man daher die gesamte Geschäftskorrespondenz als aufbewahrungspflichtig einstufen.

Zur Archivierung können Bild- oder andere Datenträger eingesetzt werden, sofern dies den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entspricht (§ 257 Abs. 3 HGB ). Ausnahmen gelten nur für Eröffnungsbilanzen, Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse. Dabei muss sichergestellt sein, dass "empfangene" (also nicht auch versendete) Handelsbriefe und Buchungsbelege bildlich, alle anderen Unterlagen inhaltlich mit dem Original übereinstimmen, wenn sie aufgerufen werden. Ferner muss die jederzeitige Verfügbarkeit und prompte Lesbarkeit der Unterlagen sichergestellt sein. Hierfür ist allerdings keine Speicherung auf einer Festplatte erforderlich; es genügt, wenn die Daten – etwa auf CD-ROM – im Archiv abgelegt und in angemessener Frist erreichbar sind.

Ein Wechsel des Mediums – etwa von Papier auf digital – ist jederzeit möglich. Daten können also ausgedruckt und in Papierform aufbewahrt werden. Ebenso ist es möglich, einen Papierausdruck wiederum elektronisch oder auf sonstigen Datenträgern abzuspeichern, etwa durch scannen (§ 257 Abs. 3 Satz 2 HGB).

Die Verletzung gesetzlicher Aufbewahrungsfristen ist mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht (§ 283 b Abs. 1 Nr. 2 StGB); wird der Verstoß bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit begangen, so ergibt sich eine noch höhere Strafdrohung (§ 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Taten sind allerdings nur bei vorsätzlichem, nicht jedoch bei fahrlässigem Handeln strafbar. Der Täter muss sein Verhalten also kennen und wollen – Sorgfaltswidrigkeiten allein werden nicht bestraft. Zudem muss als objektive Bedingung für die Strafbarkeit hinzutreten, dass der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Fehlt es hieran, liegt zwar ein rechtswidriger und schuldhafter Verstoß gegen Aufbewahrungspflichten vor, der jedoch nicht bestraft wird. Wohl aber kann ein solches Verhalten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen, da Rechtswidrigkeit und Schuld gegeben sind.

Steuerrecht

Im Rahmen des Steuerrechts sind sämtliche der genannten kaufmännischen Unterlagen und darüber hinaus sonstige Unterlagen aufbewahrungspflichtig, soweit sie für die Besteuerung bedeutsam sind (§ 147 Abs. 1 AO). Bei Verletzung der Archivierungspflichten liegt keine ordnungsgemäße Buchführung vor und es erfolgt zumindest eine ungünstige Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO), sofern nicht sogar der Verdacht der Steuerhinterziehung entsteht.

Mit Ausnahme der Jahresabschlüsse und Eröffnungsbilanzen darf man die aufbewahrungspflichtigen Unterlagen auch digital vorhalten. Dabei muss sichergestellt sein, dass die abgespeicherten Dokumente mit den "empfangenen" Handels- oder Geschäftsbriefen und den Buchungsbelegen bildlich und mit anderen Unterlagen inhaltlich übereinstimmen, wenn sie aufgerufen werden (§ 147 Abs. 2 AO).

Ferner müssen die abgespeicherten Dokumente während der Dauer der Aufbewahrungsfrist jederzeit verfügbar sein, unverzüglich lesbar gemacht und maschinell ausgewertet werden können (§ 147 Abs. 2 AO). Der Steuerpflichtige muss auf seine Kosten diejenigen Hilfsmittel zur Verfügung stellen, die erforderlich sind, um die Unterlagen lesbar zu machen; auf Verlangen der Finanzbehörde hat er auf seine Kosten die Unterlagen unverzüglich auszudrucken oder lesbare Reproduktionen beizubringen (§ 147 Abs. 5 AO).

Nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS) des Bundesfinanzministeriums vom November 1995 muss zudem die Unveränderlichkeit der Archivierung gewährleistet sein. Das zum Einsatz kommende DV-Verfahren muss die Gewähr dafür bieten, dass alle in den Verarbeitungsprozess eingeführten Informationen erfasst und nicht mehr unterdrückt werden können. Eine einmal erfolgte Buchung darf nicht verändert werden. Fehlerhafte Buchungen sollen wirksam und nachvollziehbar durch Stornierungen oder Neubuchungen geändert werden. Sollte eine Änderung ausnahmsweise doch erforderlich sein, so muss der Originalzustand der übermittelten Daten erkennbar sein (§ 146 Abs. 4 AO).

Die Speicherung hat auf einem Datenträger zu erfolgen, der keine Änderungen zulässt. Bei einer temporären Speicherung auf einem änderbaren Datenträger muss das DV-System sicherstellen, dass Änderungen nicht möglich sind. Bei Einsatz von Kryptographie sind sowohl die verschlüsselte als auch die entschlüsselte Version der Unterlagen sowie gegebenenfalls notwendige Dechiffrier- und Signaturprüfschlüssel aufzubewahren (II.2 "Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen" [GDPdU], erlassen vom Bundesfinanzministerium 2001-07-16; siehe [externer Link] www.bundesfinanzministerium.de/dokumente/ix-..13727/Artikel.htm).

Im Hinblick auf die Datensicherheit sind Risiken für die gesicherten Datenbestände hinsichtlich Unauffindbarkeit, Vernichtung und Diebstahl zu vermeiden. Systematische Verzeichnisse über die gesicherten Datenbestände sollen das Risiko der Unauffindbarkeit ausschließen. Das Risiko der Vernichtung der Datenträger ist durch geeignete Aufbewahrungsorte zu vermeiden.

Nach den GoBS können als Datenträger für die Archivierung eingesetzt werden:

Der Gesetzgeber hat zur Archivierung von Unterlagen auf digitalen Datenträgern bewusst keine bestimmte Technik vorgeschrieben. So muss man beispielsweise nicht zwingend eine digitale Signatur verwenden. Mit Ausnahme der Jahresabschlüsse und der Eröffnungsbilanz ist die Speicherung der aufbewahrungspflichtigen Unterlagen auf digitalen Datenträgern zulässig. Auch bei Dokumenten-Managementsystemen sind die GoBS entsprechend anwendbar.

Unterlagen, die bereits digital erzeugt werden, sind jedoch zwingend auf maschinell lesbaren und auswertbaren Datenträgern zu archivieren. Solche originär digitalen Unterlagen dürfen nicht ausschließlich in ausgedruckter Form oder auf Mikrofilm aufbewahrt werden. Somit reicht die Aufzeichnung im COM-Verfahren (Computer-Output-Microfilm) nicht mehr aus. Ungenügend ist auch die ausschließliche Archivierung in maschinell nicht auswertbaren Formaten, beispielsweise als pdf-Datei (III.1 GDPdU). Damit ist – anders als im Handelsrecht – ein beliebiges Wechseln des Mediums nicht möglich.

Die Finanzbehörden können allerdings im Einzelfall (auch rückwirkend) Erleichterungen bewilligen, wenn die Einhaltung der Aufbewahrungspflichten unbillige Härten mit sich brächte (§ 148 AO).

Sofern die aufzubewahrenden Unterlagen EDV-technisch erstellt worden sind, hat das Finanzamt das Recht, im Wege einer so genannten Außenprüfung die gespeicherten Daten im System des Steuerpflichtigen einzusehen (§ 147 Abs. 6 AO). Auch eine maschinelle Auswertung auf Kosten des Steuerpflichtigen kann im Rahmen dieser Außenprüfung verlangt werden. Bei der Ausübung des Rechts auf Datenzugriff unmittelbar im Datenverarbeitungssystem des Steuerpflichtigen haben die Finanzbehörden aber nur einen Lesezugriff. Dabei darf nur vor Ort mithilfe der Hard- und Software des Steuerpflichtigen auf die elektronisch gespeicherten Daten zugegriffen werden; eine Fernabfrage (Online-Zugriff) durch die Finanzbehörde ist nicht möglich. Dadurch soll eine Veränderung des Datenbestandes und des EDV-Systems des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde ausgeschlossen werden. Die Finanzbehörde kann aber ferner die Überlassung der gespeicherten Unterlagen auf einem Datenträger verlangen (I.1 GDPdU mit näheren Erläuterungen der Vorgehensweise der Finanzbehörden).

Auch Rechnungen sind grundsätzlich Buchungsbelege. Ein Unternehmen kann die Rechnung in Form einer Papierurkunde oder einer elektronischen Abrechnung erteilen, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist (§ 14 Abs. 4 UStG). Da zum Vorsteuerabzug eine Rechnung im Sinne des UStG erforderlich ist (§§ 14, 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG), kann dieser also auch bei elektronischen Rechnungen (nur) mit qualifizierter Signatur erfolgen. Da diese digitale Signatur aber keine große Verbreitung gefunden hat, ist in der Praxis immer noch die Rechnung in Papierform die Regel, was den elektronischen Handel (E-Commerce) nicht unerheblich behindert.

Sonstige Vorschriften

Neben Handels- und Steuerrecht existieren eine ganze Reihe weiterer Aufbewahrungspflichten:

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Checkliste

Bei der Archivierung zu beachten sind:

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Datenschutzhürden

Tangiert die vorzunehmende Archivierung Persönlichkeitsrechte (etwa von Arbeitnehmern), so kann die Erfüllung der Aufbewahrungspflichten zur Gratwanderung zwischen Datensicherheit und Datenschutz werden. Dies betrifft zum Beispiel die Speicherung anfallender E-Mails. Ist eine private Nutzung für die Arbeitnehmer im Unternehmen gestattet, so gilt sogar das Fernmeldegeheimnis. In der juristischen Literatur wird daraus zum Teil ein vollständiges Speicherungs- und Einsichtnahmeverbot für den Arbeitgeber hinsichtlich der privaten E-Mails von Arbeitnehmern vertreten. Vielmehr sind sowohl die E-Mail-Inhalte wie auch anfallende Verbindungsdaten unverzüglich zu löschen.

Auch wenn dieser Literaturmeinung hier nicht gefolgt werden soll, zeigt sie doch die Problematik: Der Aufbewahrungspflicht für geschäftliche E-Mails stehen ein denkbares Speicherverbot für private Nachrichten, zumindest jedoch die Beschränkungen durch den Datenschutz gegenüber. Da in den Mailboxen der Mitarbeiter meistens ein Gemenge zwischen privaten und geschäftlichen E-Mails besteht, befindet sich der Arbeitgeber im Zwiespalt. Er soll die geschäftlichen Mails aufbewahren und die privaten nach Weiterleitung an den Arbeitnehmer löschen, kann aber mangels Einsichtnahmebefugnis keine Trennung vornehmen.

Diesen Gegensatz kann die legalisierende Wirkung einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auflösen, wenn man etwa per Betriebs- oder Dienstvereinbarung die zu erfüllenden Aufbewahrungspflichten in die vorhandenen Datenverarbeitungsprozesse integriert. Sofern in kleineren Unternehmen ein Betriebsrat fehlt, kann eine solche Vereinbarung auch in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden. Zusätzlich kann man eine solche Vereinbarung als umfassende E-Mail-Policy im Unternehmen ausgestalten, die gleichermaßen Organisation und Persönlichkeitsschutz der Mitarbeiter gewährleistet.

Betriebsvereinbarungen

Die beste Lösung der Situation liegt in einer Vereinbarung, nach der dem Arbeitgeber eine Aufbewahrung der E-Mails im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Aufbewahrungspflichten durch Trennung der Gemengelage ermöglicht wird, ohne dass damit pauschale Einsichtsrechte für den Arbeitgeber begründet werden. Hierfür sind verschiedene Wege denkbar: Der Arbeitnehmer hat nach einer angemessenen Frist – beispielsweise drei Monate – alle privaten Vorgänge aus seiner Mail-Box zu entfernen (Löschen oder Verschieben), sodass ein rein geschäftlicher Inhalt verbleibt, der als Ganzes zur Archivierung an den Arbeitgeber weitergegeben wird. Diese "Bereinigungslösung" bietet sich vor allem bei betriebswichtigen Mitarbeitern mit überwiegend archivierungspflichtiger Geschäftskorrespondenz an.

Der Arbeitnehmer kann aber auch angewiesen werden, archivierungspflichtige E-Mails in angemessenen Zeitintervallen in einen Archivierungsordner weiterzuleiten. Hier sind vielfältige technische Hilfsmittel im Rahmen eines Dokumentenmanagements denkbar, etwa eine Markierungsfunktion, die automatisiert eine Kopie im Archivordner anlegt. Sollte eine Einsichtnahme im Einzelfall trotzdem erforderlich werden (wenn etwa im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens die Dokumente bereits vor Bereinigung oder Weiterleitung notwendig sind), so ist der betroffene Arbeitnehmer vorab zur Trennung in private und geschäftliche E-Mails und Aushändigung hinzuzuziehen.

Horst Speichert (horst@speichert.de) ist Rechtsanwalt in der Kanzlei esb, Autor und Lehrbeauftragter an der Universität Stuttgart.