Elektronischer Rechtsverkehr beschleunigt Asylverfahren

Ordnungsmerkmale

erschienen in: <kes> 2004#3, Seite 61

Rubrik: BSI Forum

Schlagwort: E-Government

Zusammenfassung: Deutsche Amtsstuben sind längst nicht mehr so verstaubt wie häufig behauptet. So muss man sich auch Asylbewerberakten nicht länger als Stapel von Papier in grauen Aktendeckeln vorstellen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) in Nürnberg hat mit MARiS die elektronische Asylberwerberakte eingeführt. Um das Verfahren rechtssicher zu machen, wird mit Unterstützung der Zertifizierungsstelle D-TRUST GmbH und der secrypt GmbH die qualifizierte elektronische Signatur eingeführt.

Autor: Von Detlef Duschek, BAFl, Tatami Michalek, secrypt GmbH, und Dr. Klaus-Dieter Wirth, D-TRUST GmbH

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) kann künftig im Asylverfahren mit Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten online kommunizieren und weiß sich dabei technisch und rechtlich auf der sicheren Seite. Denn mit dem Projekt MARiS (Migrations-, Asyl-, Re-Integrations-System), entwickelt von der Firma Siemens Business Services (SBS), wurde eine Alternative zur Papierakte geschaffen. Dabei werden Asylbewerberakten elektronisch angelegt und in ein Workflow-Managementsystem integriert. Darauf aufbauend wird die elektronische Akte nun "salonfähig" für den Austausch mit externen Stellen. Voraussetzung dafür ist die Implementierung der qualifizierten elektronischen Signatur, die als gleichwertiges Pendant zur handschriftlichen Unterschrift im Verwaltungsverfahrensgesetz zugelassen ist. Medienbrüche werden vermieden, Postlaufzeiten fallen weg, das gesamte Asylverfahren beschleunigt sich.

Wie ist man bei der MARiS-Implementierung vorgegangen, welche Schwierigkeiten waren zu überwinden und welche Visionen treiben das Projekt voran? Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht nur für BAFl-Mitarbeiter interessant. Denn von den gemachten Erfahrungen können auch andere Verwaltungen profitieren: Die Vorteile eines signaturgestützten Dokumentenmanagementsystems sind nahezu universal.

Die Anfänge

Die Migration und Integration innerhalb Deutschlands zu steuern, dies ist die zentrale Aufgabe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg. Auf Grundlage des Asylverfahrensgesetzes und des Ausländergesetzes entscheidet es über die Anträge beziehungsweise den Schutz von Asylbewerbern. In diesen Verfahren arbeitet das Bundesamt mit den Ausländerbehörden der Länder, den Verwaltungsgerichten und den Sicherheitsbehörden zusammen. Das Bundesamt hat 24 Außenstellen, es ist in allen Bundesländern vertreten.

Bereits in der ersten Hälfte der 90er-Jahre wurde das BAFl mit vernetzten Arbeitsplatzrechnern ausgestattet. Doch das neue Medium E-Mail durfte nur für die interne Kommunikation, nicht für den formellen Schriftverkehr mit externen Organisationen genutzt werden. Denn elektronische Nachrichten, die ohne besondere Maßnahmen per E-Mail versandt werden, können ohne weiteres ausgespäht oder sogar manipuliert werden; außerdem sind Absender und Empfänger einer Nachricht nicht mit Sicherheit identifizierbar. Lange Zeit galt die elektronische Kommunikation darum zwar als interne Arbeitserleichterung, doch schied sie aus, wenn es um offizielle Amtshandlungen ging. Insbesondere datenschutzrechtlich sensitive personenbezogene Daten, wie sie beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge alltäglich sind, schienen zwangsläufig an das Medium Papier gebunden zu sein.

Seine ersten Schritte zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs machte das BAFl mit der Einführung von MARiS, einem zunächst reinen Dokumentenmanagementsystem. Zwar wurden die Asylbewerberakten nun elektronisch statt auf Papier geführt; der Versand nach außen erfolgte aber noch immer per Post. Vorgelegte und im Laufe des Verfahrens hinzukommende Originaldokumente (z. B. Atteste und Bescheide) wurden eingescannt und gleichzeitig in so genannten Dokumentenmappen aufbewahrt. Bis Ende 2002 wurden alle Außenstellen des Bundesamtes mit dem System MARiS ausgestattet.

Absicherung der Online-Kommunikation – aber wie?

Das Pilotprojekt SPHINX des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) stellte das erste System innerhalb der Bundesverwaltung dar, mit dem im größeren Umfang eine abgesicherte Kommunikation über das offene Internet möglich wurde. Interoperabilität, Anwenderakzeptanz und Zukunftssicherheit schrieb sich das SPHINX-Projekt auf die Fahnen, um die Verschlüsselung und Signierung von E-Mails populär zu machen. Auch das BAFl war an dem Pilotprojekt beteiligt und verfolgte verschiedene Ansätze, den Testbetrieb zumindest teilweise in einen Wirkbetrieb zu überführen.

Zu den "lessons learned" zählte unter anderem die Erkenntnis, dass die Gewährleistung einer Ende-zu-Ende-Sicherheit bei der Handhabung der MARiS-Module in der Praxis problematisch ist: SPHINX basierte auf dem Grundsatz, dass die Signatur beziehungsweise Verschlüsselung, die der Absender der Nachricht an seinem Arbeitsplatz vorgenommen hat, immer lokal am Arbeitsplatz des Empfängers überprüft beziehungsweise entschlüsselt werden musste. Schwierigkeiten ergeben sich dadurch zum Beispiel bei der Realisierung einer Vertreterregelung, da eingehende Dokumente nur vom Empfänger selbst geöffnet werden können – und wenn dieser im Urlaub ist, solange unleserlich bleiben. Außerdem können mittels SPHINX lediglich fortgeschrittene und somit keine qualifizierten elektronischen Signaturen erzeugt werden.

MARiS Online

Die elektronische MARiS-Akte gestaltet den Arbeitsablauf beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erheblich zügiger und effizienter: Automatisierte Abläufe erlauben eine unkompliziertere und schnellere Aktenbearbeitung. Doch es gibt Medienbrüche in Hülle und Fülle. Tatsächlich erfolgt die Online-Abwicklung von MARiS erst im zweiten Schritt, weil, wie bereits angedeutet, an die rechtsverbindliche Online-Kommunikation hohe Anforderungen gestellt werden:

Elektronisch rechtsverbindlich unterschreiben, Medienbrüche vermeiden

Im Zuge des MARiS-Projektes werden nun 1 300 Mitarbeiter des BAFl eine individuelle qualifizierte elektronische Signatur bekommen. Im September 2002 wurden die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass auch im öffentlich-rechtlichen Bereich eine gesetzlich geforderte Schriftform durch die elektronische Form mit qualifizierter elektronischer Signatur erfüllt werden kann.

Die 1 300 Signaturausstattungen für die BAFl-Mitarbeiter werden von der D-TRUST GmbH, einer Tochtergesellschaft der Bundesdruckerei, bezogen. Als signaturgesetzkonforme Zertifizierungsstelle und offizielles Mitglied im Signaturbündnis der Bundesregierung ist das Unternehmen ein kompetenter Projektpartner, der sich zudem eng an internationalen Standards orientiert. Da die qualifizierte elektronische Signatur, die aus Sicherheitsgründen für jeden BAFl-Mitarbeiter auf einer persönlichen Signaturchipkarte gespeichert wird, immer persönlich beantragt werden muss und die Größenordnung der auszustattenden BAFl-Mitarbeitern beträchtlich ist, wird D-TRUST die Möglichkeit schaffen, die Antragstellung der Signaturkarten innerhalb des Amtes durchzuführen: Der gesetzlich vorgeschriebene Identifizierungsvorgang kann also von Kollegen innerhalb des Bundesamtes erledigt werden. Auf die neue Aufgabe werden die betreffenden Mitarbeiter mit einer ganztätigen Schulung vorbereitet. Auch zur Installation, Bedienung und Handhabung der Signaturtechnik wird D-TRUST Schulungen für Multiplikatoren durchführen, sodass das erforderliche Wissen an alle weitergegeben wird.

Ein weiterer kompetenter Partner liefert die benötigte Signatursoftware für die 1 300 betroffenen PC-Arbeitsplätze und integriert diese in das MARiS-Projekt: Die secrypt GmbH ist spezialisiert auf Lösungen zur Gewährleistung von Authentizität, Manipulationsschutz und Vertraulichkeit für sensitive Daten in elektronischen Netzwerken. Die praxisgerechte und ausgereifte Signatursoftware digi-Seal von secrypt ermöglicht es, elektronische Dokumente mit den Signaturkarten rechtsverbindlich elektronisch zu unterschreiben und gegen unbemerkte Manipulationen zu schützen – der entscheidende Beitrag zur Umsetzung der rechtsverbindlichen digitalen Akte.

Ohne elektronische Signatur wären dem elektronischen Rechtsverkehr mit MARiS sehr enge Grenzen gesetzt. Denn die digitale Unterschrift kommt bei zahlreichen Einzelvorgängen in dem Projekt zum Einsatz:

Erst mit der elektronischen Signatur entfaltet MARiS also sein eigentliches Potenzial. Die Einbindung des Signaturmoduls in das Workflow-Managementsystem erfolgt durch die Firma SBS. Die konstruktive Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen (D-TRUST, secrypt und SBS) unter Koordinierung der Projektleitung im Bundesamt garantiert die Realisierung einer ganzheitlichen und zukunftssicheren Lösung.

Orientierung an Standards schafft breite Akzeptanz

Auch zur Ende-zu-Ende-Sicherheit wurde eine praktikable Alternative gefunden. Wenn normalerweise bei asymmetrischen Verschlüsselungsverfahren die Daten auf einen persönlichen Empfänger hin verschlüsselt werden, sodass nur dieser sie lesen kann, entsteht dadurch das oben dargestellte Problem der Datenentschlüsselung, sobald diese Person längere Zeit abwesend sein sollte oder sogar ganz ausscheidet. Um dieses Problem zu umgehen, ist die Einrichtung einer virtuellen Poststelle vorgesehen. Als Basiskomponente der deutschen E-Government-Offensive BundOnline 2005 bietet dieses Modell eine Lösung an, mit der die elektronische Signatur sehr viel unkomplizierter in Behörden eingeführt werden kann. Abweichend von der Ende-zu-Ende-Sicherheit bei SPHINX wird nämlich durch die virtuelle Poststelle eine so genannte Organisation-zu-Organisation-Sicherheit erreicht. Das führt dazu, dass sich der Nutzer – abgesehen von der qualifizierten digitalen Signatur der Dokumente in MARiS – nicht mehr explizit um die Sicherung der Daten auf dem Übertragungsweg kümmern muss. Die Verschlüsselung beziehungsweise Entschlüsselung wird in Abhängigkeit von den jeweiligen Adressaten automatisiert von der virtuellen Poststelle übernommen.

Wenn Daten aus einem Workflow-Managementsystem wie MARiS heraus versendet werden, erwarten die Empfänger eine strukturierte Übermittlung der Dokumente. Aus diesem Grund und wegen der Bestrebung des Bundesamtes, auf Standards mit hohem Verbreitungsgrad zu setzen (SAGA-Standard), werden die für die externe Kommunikation bestimmten MARiS-Dokumente zunächst einem XML-Konverter zugeführt.

In einer ersten Realisierungsstufe hat SBS bereits ein Modul bereitgestellt, das den Versand von Akten und sonstigen Dokumenten aus MARiS heraus in elektronischer Form und auf dem elektronischen Wege ermöglicht. Auch die medienbruchfreie Übernahme von Dokumenten Dritter (z. B. Ausländerbehörden) ist möglich. Die Gesamtkonzeption stellt sich dabei folgenden Herausforderungen:

Das Bundesamt geht davon aus, dass auf der Empfängerseite Partner mit unterschiedlichen IT-Strukturen bedient werden müssen. Weiterhin soll das Gegenüber nicht gezwungen werden, Zeit und Geld für den elektronischen Rechtsverkehr mit dem Bundesamt zu investieren. Unter dieser Prämisse wird eine für unterschiedliche Plattformen verwendbare, frei zugängliche Viewer-Software entwickelt, mit der die XML-Dokumente gesichtet und die qualifizierten elektronischen Signaturen verifiziert werden können. Die Entschlüsselung kann alternativ über eine virtuelle Poststelle, einen Mail-Client oder einen Web-Browser erfolgen. Unabhängig von dem Viewer-Baustein kann ein externer Partner die Darstellung auch durch proprietäre Module eines eigenen Workflow-Managementsystems erreichen.

Kommunikationspartner

Die potenziellen Partner für den elektronischen Rechtsverkehr im Asylbereich sieht das Bundesamt bei den Verwaltungsgerichten und den Ausländerbehörden. Erste Kontakte in Richtung der Verwaltungsgerichte in Bayern, zu den Kreisverwaltungsbehörden in München und Nürnberg sowie zum Land Rheinland-Pfalz wurden bereits hergestellt.

Durch den elektronischen Rechtsverkehr wird eine Verfahrensbeschleunigung und ein Gewinn an Sicherheit und Qualität erreicht. Das Projekt lebt jedoch von der Beteiligung externer Partner, um möglichst zeitnah die gewünschten wirtschaftlichen und qualitativen Effekte erreichen zu können. Derzeit laufen bei unterschiedlichen Organisationen Aktivitäten zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs. Im Jahre 2004 ist das BAFl in der glücklichen Lage, sich auf eine sichere Rechtslage, auf ausgereifte Technologien und nicht zuletzt mit D-TRUST,secrypt und SBS auf erfahrene Projektpartner verlassen zu können.

Visionen

In der Anfangszeit wird es neben Kommunikationspartnern im elektronischen Rechtsverkehr weiterhin zahlreiche Stellen geben, mit denen der Schriftwechsel in konventioneller Form (Brief, Fax) abgewickelt werden muss. Durch die derzeit in der Realisierung befindlichen Projekte und die BundOnline2005-Initiative wird jedoch auf Synergieeffekte gehofft, die zum raschen Erreichen einer hohen Nutzerquote führen.

Die Kernanwendung MARiS des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge unterstützt derzeit lediglich die Durchführung des Asylverfahrens. Mit der Übernahme neuer Aufgaben durch das Bundesamt sollen in MARiS jedoch zukünftig auch Module für die Bereiche Migration, Reintegration und Integration implementiert werden. Der durch MARiS Online eingeführte elektronische Rechtsverkehr kann dann auf einen wesentlich größeren Nutzerkreis – gegebenenfalls auch außerhalb des Behörden- und Justizbereichs – ausgeweitet werden.

Damit verdeutlicht das Projekt, dass sich E-Government für deutsche Behörden auszahlt: Elektronischer Workflow führt zu höherer Effizienz; davon profitieren die öffentliche Verwaltung und alle, die mit ihr zu tun haben. Die notwendigen Anforderungen an die technische und rechtliche Sicherheit der Verfahren werden durch die elektronische Signatur in idealer Weise erfüllt; leider haben in der Vergangenheit zu viele Projekte an dem Punkt Halt gemacht, wo es um ihre Einführung ging.

Selbstverständlich ist die elektronische Signatur immer nur in einer dienenden Funktion, um medienbruchfreie Abläufe zu ermöglichen; sie allein macht noch keine intelligenten Verwaltungsvorgänge aus. Doch ohne diese Technik wären E-Government-Projekten von vornherein enge Grenzen gesetzt, und auch MARiS wäre womöglich auf halber Strecke stehengeblieben. Es ist Zeit, sich an den elektronischen Rechtsverkehr und die "neue elektronische Unterschrift" zu gewöhnen und ihre Vorteile zu nutzen.