[ Aufmacherfoto ] Power Audit

Ordnungsmerkmale

erschienen in: <kes> 2003#3, Seite 6

Rubrik: Bedrohung

Schlagwort: Stromversorgung

Zusammenfassung: Strom ist nicht einfach nur da oder nicht, sondern hat auch eine Qualität. Und die ist nicht immer so gut, wie man gemeinhin glaubt. Die Gründe dafür können sowohl beim Erzeuger als auch im Hause des Verbrauchers liegen. Wer merkwürdige Phänomene beobachtet oder hohe Verfügbarkeitsansprüche an seine IT stellt, sollte auch auf die Stromversorgung ein wachsames Auge werfen.

Autor: Von Karl-Heinz Otto, Lage

Wenn mit dem Strom "was nicht stimmt", kann das die verschiedensten Auswirkungen haben: Deutliche Überspannungen sind bekanntermaßen in der Lage, elektronische Bauteile und Geräte zu zerstören, aber auch geringere Störungen können zu Systemabstürzen (evtl. mit Datenverlust), Fehlern oder Verlangsamung bei der Datenübertragung, zu höherer Ausfallwahrscheinlichkeit und vorzeitigem Verschleiß führen. In der Praxis sind geradezu skurrile Beispiele bekannt: So etwa ein Fall, wo ein Drucker jedesmal einen Papiervorschub ausführte, wenn das Licht im Computerraum eingeschaltet wurde.

Weit weniger spaßig ist ein noch ungelöster Vorgang in Berlin, bei dem nach und nach schon über 30 Netzteile an einer bestimmten Server-Einheit ohne erkennbare äußere Ursache ausgefallen sind. Der Hersteller muss nur für diesen einen Kunden stetig Ersatz liefern, obwohl er weltweit 450 Installationen betreut. Nachdem die eigene Service-Mannschaft nicht mehr weiter wusste, wurden mittlerweile vier Sachverständige eingesetzt – alles was technisch möglich erschien, hat man bereits verändert und verbessert. Immer wenn die aufwändige Messtechnik installiert war, funktionierte alles auch über längere Zeit normal. Kaum war jedoch die scheinbare Fehlerfreiheit attestiert, kam es erneut zu Ausfällen des Netzteiles im Gleichstromzwischenkreis.

Erhöhte Fehlerraten oder erhöhte Ersatzteilaufwendungen sollten von den Service-Abteilungen stärker untersucht werden. Leider produzieren viele Hersteller heute nicht bessere, sondern scheinbar billigere Produkte, welche zur Wegwerfware verkommen. Im geschilderten Praxisfall war es beispielsweise nicht möglich, die konkreten Schaltbilder der recht komplizierten Netzteile zu einer Untersuchung zu bekommen. Etliche Komponenten werden auch bei kleinen Fehlern nicht mehr instand gesetzt, sondern einfach gegen neue getauscht. So lässt sich kaum ein Fehler mehr analysieren und führt in der Folge zu teilweise extremen Kosten.

Zudem besteht das Wartungspersonal häufig aus Computerfachleuten, die keine solide Ausbildung bezüglich der Stromversorgung besitzen. Und der bisweilen hinzugezogene Hauselektriker hat in der Regel nicht die speziellen Kenntnisse der EDV-Versorgung und glaubt bei Einhaltung der grundlegenden Norm für elektrische Anlagen VDE 0 100 sei alles in Ordnung. Die notwendigen Kenntnisse über die speziellen Anforderungen von Fernmelde- und Informationstechnik aus der VDE 0 800 und der DIN EN 50174 sind meist völlig unbekannt.

Geräte mit den empfindlichsten Signalpegeln werden in der Regel als erste von Störungen in der Elektrik betroffen. Die Fehlersymptome sind schwer auseinander zu halten, da sie sowohl der Hardware als auch Programmen zugeordnet werden können. Viele Störungen durch Stromversorgungsprobleme lassen sich ohne spezielle Fachkenntnisse und Spezialausrüstung überhaupt nicht von Softwarestörungen unterscheiden.

Ursachen

Mögliche Störquellen beginnen bereits beim Energieversorgungsunternehmen. Während die "großen" Stromausfälle einerseits selten und zum anderen auch auffällig sind, so existieren kontinuierliche Aufzeichnungen über die Stromqualität im Millisekundenbereich kaum bis überhaupt nicht, da die notwendige Messtechnik bislang nicht vorhanden oder zu teuer war. Auch "inhouse"-Störungen ab einem Trafo der 400-V-Ebene werden in der Regel nicht erfasst. Zudem ist zu erwarten, dass die Qualität der öffentlichen Stromversorgung weiter abnimmt; Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Energieversorger lassen fast zwangsläufig nach, da der Kostendruck durch die Privatisierung und Öffnung der Märkte zunimmt.

Doch auch in den Installationen vieler Unternehmen ist der Gedanke der Überdimensionierung in den letzten Jahren verstärkt dem Kostendruck zum Opfer gefallen. Transformatoren und unterbrechungsfreie Stromversorgungssysteme (USV) "verabschiedeten" sich, obwohl die Belastung scheinbar erst bei 50 % lag. Scheinbar gut dimensionierte Leitungen wurden warm, obwohl die Betriebsinstrumente "alles im grünen Bereich" anzeigten. Die tatsächlichen Verluste in der Stromübertragung, der Verteilung und den USV-Systemen wurden jedoch nicht erfasst.

Zu rund 80 % dürften Erdungstechniken und die Führung des Neutralleiters für Störungen und Unzuverlässigkeit verantwortlich sein: Durch fehlerhafte oder unangemessene Installationen entstehen dabei Stromschleifen, die hohe Risiken bergen. Trotzdem gibt es nicht ein "durchschnittliches Erdungsproblem" oder nur eine Universal-Lösung. Noch immer weit verbreitet sind allerdings Installationen, bei denen aus Kostengründen oder historisch bedingt das Rückleitungssystem (neutral, N) gemeinsam mit dem Erdungssystem (Potential Earth, PE) verbunden ist; diese Kombination trägt die Bezeichnung TN-C-System (siehe etwa [2]).

[Illustration - Quelle: WÜBA]
Gefährliche Verkabelung: In vielen Installationen sind Erdung (PE) und Neutralleiter (N) noch auf Ebene der Etagenverteiler zusammengeführt, wodurch Störströme über Datenleitungen auftauchen können.

Normalerweise sollte der Strom, der ein Gerät über die Phase (Line, L) erreicht, nur über den Nullleiter zurückfließen. Falls N und PE jedoch mangels durchgängig 3-adriger Verkabelung im Etagenverteiler oder in einer Steckdose verbunden sind, dann kann sich der Rückfluss auch auf einen anderen Leitungsweg verteilen: Nämlich vom Verbindungspunkt PE-N "zurück" über die Erdleitung zum Gerät und von dort über die Masse-Leitungen von Netzwerk- oder anderen Datenkabeln (vgl. Abb.) zum nächsten System, das wiederum an einer PEN-Leitung hängt. Diese Störströme können schon im "Normalbetrieb" für Probleme sorgen. Besonders gefährlich wird es aber, wenn der Nulleiter zwischen zwei solchen PE-N-Verbindungen unterbrochen wird: Dann ist die Masseleitung plötzlich die einzige Verbindung zum E-Werk – der gesamte rückfließende Strom des "abgehängten" Geräts (in der Abb. "Betriebsmittel 1") fließt nun über das Datenkabel und durch die Schnittstellenplatinen, wofür diese meist ganz und gar nicht ausgelegt sind.

Wird das Sicherheits- und Bezugssystem PE vom Neutralleiter separat geführt (sog. TN-S-System), so fließen hingegen keine galvanischen Arbeitsströme über das Erdungssystem. Das TN-S-System ist eine Grundvoraussetzung, um überhaupt eine sichere und zuverlässige Stromversorgung für IT- und TK-Systeme sicherzustellen. Im Normalbetrieb dürfen über die Anschlussverbindung zwischen Neutralleiter zum zentralen Erdungspunkt (ZEP) keine Arbeitsströme fließen. An dieser Stelle kann dann ein Überwachungssystem (RCM) die Installation kontrollieren.

[ auf zwei Fotos zeigen Messinstrumente starken Stromfluss (8 bzw. 14 A) durch eine Erdungsleitung und zwischen PE und N ]
Im Normalfall darf kein Strom über die Erdung fließen – wenn doch, dann stimmt etwas nicht. Leider sind Messergebnisse mit hohen Strömen, wie auf den Fotos, nicht selten.

Doch auch die IT-Systeme selbst sind Quellen des Stromübels: Moderne Verbraucher bewirken trotz aller Anstrengungen zur Verbesserung der darin befindlichen Schaltnetzteile häufig erhöhte "Netzrückwirkungen" durch die hohe Anzahl in einem Versorgungsgebiet oder einer Kundeninstallation. Die nicht mehr sinusförmig aufgenommenen Ströme wirken auf die Spannungsquelle zurück und verändern damit deren Sinusform. Diese "verschlechterte" Spannung wird wiederum allen Verbrauchern angeboten, sodass Netzteile sich gegenseitig beeinflussen und "abschießen" können. Das Rückleitungssystem (N) wird dabei völlig überlastet und viele Anschlussklemmen waren nie für derartige Belastungen vorgesehen. In Folge kann es zu Temperaturerhöhungen an den Neutralleiterklemmen, zu Korrosion und schlimmstenfalls zur Kontaktunterbrechung kommen.

Bestandsaufnahme und Kontrolle

Hinzu kommen noch Reaktionen auf Störungen des elektrischen Umfelds, hohe Anlauf- und Heizströme (z. B. Drucker, Kopierer, Klimatechnik), Veränderungen der Stromversorgung und eingekoppelte Störgrößen. Letztlich wäre es gar nicht einmal so aufwändig, mit ein wenig Überdimensionierung von Kabeln und Schaltanlagen die Wirkungsgrade und Störunempfindlichkeit zu verbessern. Vorbildliche EDV-Verteilungssysteme sind aber scheinbar nur unter erheblichen Anstrengungen beim Planer und Bauherrn durchzusetzen, da offensichtlich Kostenargumente die Oberhand haben. Daher ist es heute zwangsläufig notwendig, nach Inbetriebnahme und in periodischen Abständen ein Power Audit durchzuführen, um zu prüfen, ob die Rahmenbedingungen für einen verantwortbaren EDV-Betrieb eingehalten sind.

Die Ziele der "Stromversorgungs-Revision" eines Power Audit lauten:

Im Rahmen des Audits sind unter anderem die Zahl der EDV-Geräte und ihre Anschlusswerte zu ermitteln, alle Schleifenwiderstände, die Mittelspannungsstruktur, Transformatoren-Gruppen sowie Unterverteilungen und Kabelstrecken messtechnisch und anhand von Plänen sowie Ortsbegehungen zu ergründen. Darüber hinaus sollten die Qualität der Netzeinspeisung sowie eventuelle Differenz- und Störströme auch in Langzeitmessungen erfasst werden. Die Dimensionierung der gesamten Installation ist kritisch zu bewerten. Eine GPS-Vermessung hilft, für mögliche Blitzeinschläge Informationen aus einem zentralen Register zu erhalten, eine Foto- und Videodokumentation während der Untersuchung sichert ihre Nachprüfbarkeit.

Die notwendige Ausrüstung für ein Power Audit kann leicht über 30 000 € kosten und sollte daher sorgfältig und regelmäßig genutzt werden; auch das notwendige Know-how ist sicherlich nicht gering zu bewerten. Man darf letztlich nicht vergessen, dass die Messungen unter Spannung ausgeführt werden müssen und häufig durch eine "platzsparende" Installationspraxis erschwert sind.

In wichtigen Installationen sollte man überdies mindestens den Netzeingang und gesicherten USV-Stromkreis permanent und umfassend per Power Monitoring kontrollieren, damit erste Veränderungen in der Stromversorgung rechtzeitig erkannt und ohne größere Folgen abgestellt werden können. Bewährt haben sich Produkte des Herstellers PML, der unterschiedliche Anwendungen relativ preiswert abdeckt ([externer Link] www.pml.com).

Korrekturen

Nach dem Audit sollte sich selbstverständlich eine Prüfungs- und Ertüchtigungsphase anschließen. Es ist jedoch kaum zu glauben, welche Hinderungsgründe Firmen teilweise anführen, um nicht an bestehenden Installationen rühren zu müssen. Anstelle die Anlagen in Ordnung zu bringen, findet man häufig Angst vor Schuldzuweisungen und Regressen. Allzu oft entscheidet man sich nur dann zügig für Korrekturen, wenn der Leidensdruck der IT-Abteilung besonders hoch oder der verantwortliche Betreiber entsprechend weitsichtig ist.

Die besten und schnellsten Umbauten erfolgen nach Erfahrung des Autors mit einer Crew aus umbauerfahrenen Sachverständigen, Elektromeistern/Monteuren und Schaltschrank-Errichtern sowie der unternehmenseigenen Elektroabteilung. Mit einiger Vorbereitung konnten auch komplexe Anlagen innerhalb eines kurzen Zeitfensters von 6–8 Stunden umgebaut werden; die Kosten variierten dabei je nach Aufwand zwischen 5 000 € und 25 000 €.

Nach dem Motto "was nicht drin ist, kann auch nicht kaputt gehen" sollten zunächst nur die grundlegenden Probleme behoben werden: Einrichtung eines TN-S-Systems, Stromfreiheit der Erdungs- und Bezugssysteme, spannungssteife Stromquelle und ein erhöhter Störabstand zu Störquellen. Zu 80–90 % sind damit bereits die meisten ITK-Systeme wieder voll und zuverlässig funktionsfähig. Methoden für eine IT-gerechte Stromversorgung hat ein US-Standard bereits 1983 aufgezeigt. Die Inhalte der FIPS Publication 94 [1] sind auch heute noch aktuell.

Wie überall, so gibt es aber auch für die Stromversorgung keine absolute Sicherheit. Ein hoher Schutz gegen alle möglichen Stromversorgungsprobleme ist aufwändig und dennoch erreicht man nicht immer das Ziel. Gegen versorgungsbedingte Stromausfälle schützen die Maßnahmen ohnehin nicht. Dagegen können nur batteriegestützte Systeme und USV-Anlagen helfen. Auch dabei muss allerdings auf eine ausreichende Dimensionierung sowie sachgerechte Umschaltung und korrekte Phasenlage geachtet werden.

Dipl.-Ing. Karl-Heinz Otto ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für elektrische Niederspannungsanlagen, Leistungs- und EDV-Elektronik ([externer Link] www.sv-otto.de) sowie Leiter der Bundesfachgruppe "Elektronik und EDV" im Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e. V. ([externer Link] www.bvs-ev.de).

Literatur

[1]
U. S. Dept. of Commerce, Federal Information Processing Standards (FIPS) Publication 94, Guideline on Electrical Power for ADP Installations, Downloadmöglichkeit (97 MByte): [externer Link] www.itl.nist.gov/fipspubs/fip94.pdf
[2]
K.-H. Otto, E-Technik-Grundlagenskript zum Seminar: Schirmung, Erdung, Potenzialausgleich, EMV in Gebäuden, Downloadmöglichkeit für <kes>-Abonnenten (3,3 MByte): www.kes.info/archiv/heft/abonnent/03-3/ETech-Grundlagen-KHOtto.pdf