Noch immer sind Überspannungen aus Blitzentladungen und Schalthandlungen eine Hauptursache für Ausfälle an elektronischen Systemen. Informationstechnische Systeme verstehen in dieser Hinsicht keinen Spaß und müssen vor allem gegen den größten elektromagnetischen Störer geschützt werden: den Blitz.
Häufig mangelt es jedoch an hinreichenden Gegenmaßnahmen. Die Gründe hierfür reichen von gänzlich fehlenden oder konzeptlosen Schutzmaßnahmen bis hin zur irrigen Meinung, dass eine Gebäude-Blitzschutz-Anlage nach DIN VDE 0185 Teil 1 (alte, zurückgezogene Norm) auch den Endgeräteschutz von informationstechnischen Einrichtungen sicherstellen kann. Das Schadensrisiko wird offenbar bei der Planung von Gebäuden oft nicht erkannt oder nicht realistisch eingeschätzt. Gerade heute, wo viele Unternehmen hohe Anforderungen an ihre Erreichbarkeit und die Verfügbarkeit gespeicherter Daten haben, sind Ausfälle der Energieversorgung oder Informationstechnik aber kaum zu tolerieren.
Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Schutz vor direkten Blitzeinschlägen und vor eingekoppelten transienten Überspannungen. Seit November 2002 stehen Planern und Eigentümern hochverfügbarer Datennetze aufeinander abgestimmte Regelwerke aus der Reihe DIN V VDE V 0185 als verlässliche Planungsgrundlage für zukunftsorientierte Blitzschutzsysteme zur Verfügung, die den neuesten Stand der Technik wiedergeben. Auf dieser Grundlage lassen sich auch weitergehende Schutzmaßnahmen für ausgedehnte Einrichtungen der elektrischen Energie- und Informationstechnik leicht und kostengünstig durchführen.
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Die nachfolgend erläuterten Begriffe gelten für das gesamte Blitzschutz-Normenwerk.
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Die neuen VDE-Blitzschutz-Vornormen bestehen prinzipiell aus vier Teilen (vgl. Liste). Sie sind anwendbar für das Planen, Errichten, Überprüfen und Warten von Blitzschutzsystemen für bauliche Anlagen, deren Installationen, Inhalt und die darin befindlichen Personen. Zwei allgemeingültige Normenteile (Teil 1 und 2) sind zwei weiteren zur praktischen Ausführung (Teil 3 und 4) vorangestellt.
Themen der neuen Blitzschutz-Vornormen der Reihe DIN V VDE V 0185
Die allgemeinen Normenteile der DIN V VDE V 0185 helfen dabei, die Gefährdung durch Blitze und die Notwendigkeit eines Blitzschutzsystems für ein Objekt zu ermitteln. Entsprechend erfolgt die Auswahl von technisch und wirtschaftlich optimalen Schutzmaßnahmen, die mithilfe der Normenteile 3 und 4 realisiert werden.
Für den Schutz von Versorgungsleitungen (z. B. Stromversorgungs- und Rohrleitungen) ist derzeit noch keine Vornorm verfügbar. Schutzmaßnahmen zur Verringerung von Schäden und Ausfällen von Telekommunikationsleitungen werden in den Normen VDE 0845 Teil 4-1 (Lichtwellenleiteranlagen) und Teil 4-2 behandelt (Telekommunikationsleitungen mit metallischen Leitern).
Bauliche Anlagen mit empfindlichen elektronischen Systemen müssen unter anderem gegen die Wirkung des elektromagnetischen Blitzimpulses (Lightning Electromagnetic Pulse, LEMP) geschützt werden. Der so genannte LEMP-Schutz ist ebenfalls Gegenstand von Teil 4 der neuen Blitzschutzvornorm. Seine Notwendigkeit sollte möglichst früh in der Planungsphase eines neuen Gebäudes oder vor der Installation eines neuen elektronischen Systems bei einer bereits bestehenden baulichen Anlage (z. B. im Zuge einer veränderten Nutzung) geklärt werden.
Im Allgemeinen liegt es im Verantwortungsbereich des Architekten und der Fachplaner für Gebäudetechnik, die Planung bezüglich des LEMP-Schutzes zu koordinieren. Oftmals ist es aber sinnvoll und notwendig zusätzlich eine Blitzschutz-Fachkraft hinzuzuziehen. Zusätzliche Hilfe in der Planungsphase bietet das LEMP-Schutz-Management, das der Anhang D (Tabelle D.1) der DIN V VDE V 0185-4 ausführlich beschreibt.
Nach der Analyse des Schadensrisikos gemäß Teil 2 der Blitzschutzvornorm erfolgt die entsprechende Planung von Maßnahmen zur Erreichung der Schutzziele:
Bild 1: EMV-orientiertes Blitzschutzzonen-Konzept
Für die Einteilung des Gebäudes in Blitzschutzzonen bildet der äußere Gebäudeblitzschutz die Grundlage (DIN V VDE V 0185-3). Das Schutzprinzip besteht in der Reduzierung feld- und leitungsgeführter Störungen, die durch Blitzentladungen oder Schalthandlungen hervorgerufen werden. Es gilt, die Störgrößen (LEMP-Bedrohungswerte) so zu verringern, dass die elektromagnetische Verträglichkeit der informationstechnischen Anlagen und Systeme sichergestellt ist. Abhängig von der Zahl, Art und Empfindlichkeit der elektronischen Systeme können geeignete Zonen entsprechend der LEMP-Festigkeit der elektronischen Systeme definiert werden. Die Einteilung der Zonen erstreckt sich von kleinen lokalen Bereichen (z. B. dem Gehäuse eines elektronischen Geräts) bis hin zu großen integralen Gebieten (z. B. das gesamte Gebäudevolumen).
Mithilfe des in Teil 3 der Vornorm beschriebenen Blitzkugelverfahrens werden die äußeren Blitzschutzzonen LPZ 0A, LPZ 0B und LPZ 0C ermittelt: In der Blitzschutzzone LPZ 0 außerhalb des zu schützenden Gebäudes ist die elektromagnetische Blitz-Störquelle uneingeschränkt wirksam. LPZ 0A kennzeichnet diejenigen Bereiche, in denen direkte Blitzeinschläge möglich sind und das ungedämpfte elektromagnetische Blitzfeld herrscht. In der LPZ 0B sind direkte Blitzeinschläge ausgeschlossen, aber es wirkt immer noch das ungedämpfte Feld. Blitzfangeinrichtungen an einem Gebäude bewirken beispielsweise, dass sich die Dachaufbauten in LPZ 0B befinden. Die LPZ 0C definiert hingegen Bereiche, in denen eine Gefährdung für Lebewesen aufgrund von Berührungs- und Schrittspannung bestehen kann.
Ausgehend von schutztechnischen und wirtschaftlichen Erwägungen werden anschließend die inneren Blitzschutzzonen für informationstechnische Systeme festgelegt. Die Grenzen dieser Zonen bilden dabei Gebäude-, Raum- oder Geräteschirme. Vor allem bei bereits existierenden Bauten sind Gebäudeschirme kaum realisiert. Sollen dann nachträglich komplexe informationstechnische Anlagen installiert werden, so muss besonders auf die Ausbildung von Raumschirmen mit hohen Dämpfungswerten geachtet werden (vgl. Bild 2).
Bild 2: Auch IT-Sicherheitsräume bieten Schutz vor
elektromagnetischen Störfeldern.
Callcenter übernehmen heutzutage häufig als externe Dienstleistungsunternehmen den technischen Support für Unternehmen, um deren Kunden einen Rund-um-die-Uhr-Service zu bieten. Um die vertraglich festgelegten Ausfallzeiten garantieren zu können, soll in unserem Beispiel das Gebäude des Callcenters einen Schutz gegen die Wirkung von Blitzströmen und magnetischen Blitzfeldern von direkten und indirekten Blitzeinschlägen erhalten.
Dem Schutz des Callcenters soll der Gefährdungspegel II laut Teil 1 der Vornorm zugrunde liegen: Die bauliche Anlage muss gegen Schäden durch Feuer, Explosion, mechanische und chemische Wirkungen sowie die elektrischen und elektronischen Systeme (Daten- und Telekommunikationsnetz) gegen Überspannungen geschützt werden, um die hohen Verfügbarkeitsansprüche umzusetzen. Hierzu unterteilt man das Gebäude in Blitzschutzzonen (LPZ, s. u.) und führt für jede LPZ und die relevanten Schadensarten eine Risikoanalyse durch. Auch die gegenseitigen Abhängigkeiten der LPZ müssen überprüft werden. Als notwendige Schutzmaßnahmen sind umzusetzen:
Bild 3: Beispielhafte Einteilung innerer Blitzschutzzonen
Aufgrund der notwendigen hohen Verfügbarkeit der Systeme wurde für alle aktiven Komponenten des Telekommunikationssystems und des Datennetzes die Blitzschutzzone LPZ 2 festgelegt (TK-Anlage, IT-Sicherheitsraum und Aktivkomponenten im Etagenverteiler, vgl. Bild 3). Die einzelnen Arbeitsplätze sind jedoch als akzeptiertes Risiko bewusst in der weniger stark geschützten LPZ 1 belassen worden, da beim Ausfall einiger Arbeitsplätze der Betrieb des Callcenters aufrechtzuerhalten ist, ohne dass Anrufer Einschränkungen bemerken.
Entsprechend des DIN-VDE-Blitzschutzzonenkonzeptes müssen alle Leitungen an den Blitzschutzzonengrenzen mit Überspannungsschutzgeräten (Surge Protection Devices, SPD) beschaltet werden. Der Schutzpegel der gewählten SPDs muss dabei kleiner als die Spannungsfestigkeit der zu schützenden Geräte sein: beispielsweise ein SPD mit Schutzpegel 1,5 kV bei einem Servernetzteil mit 2,5 kV Spannungsfestigkeit. Auch die Anforderungen der Isolationskoordination in der Niederspannungs-Installation sind zu beachten. Zusätzlich sollen die Energie- und Datenleitungen in eine LPZ dicht zusammen eintreten: Die jeweiligen SPDs werden dann auf einer gemeinsamen Potenzialausgleichschiene angeschlossen. Zudem müssen die SPDs an den Zonengrenzen aufeinander abgestimmt – koordiniert – sein. Die energetische Koordination ist dann erreicht, wenn der Belastunganteil für jedes SPD gleich oder kleiner ist als seine ausgewiesene Festigkeit. Zur sicheren Koordination der SPDs empfiehlt es sich, komplette "Ableiterfamilien" eines Herstellers zu installieren. Die Tabellen 1 und 2 zeigen die Verwendung von SPDs im Zonenkonzept sowie nationale und internationale Bezeichnungen.
Installationsort | E DIN VDE 0675-6 mit A1 und A2 | EN 61643-11:2001 | |
---|---|---|---|
Blitzstrom-Ableiter, Kombi-Ableiter | LPZ 0A → LPZ 1 | Ableiter der Anforderungsklasse B | SPD Type 1 |
Überspannungs-Ableiter für Verteilung, Unterverteilung, feste Installation | LPZ 0B → LPZ 1 oder LPZ 1 → LPZ 2 | Ableiter der Anforderungsklasse C | SPD Type 2 |
Überspannungs-Ableiter für Steckdose / Endgerät | LPZ 1 → LPZ 2 oder LPZ 2 → LPZ 3 | Ableiter der Anforderungsklasse D | SPD Type 3 |
Tabelle 1: Bezeichnung und Installationsort der Ableiter in energietechnischen Netzen
Installationsort | IEC 61643-21:2000 | |
---|---|---|
Blitzstrom-Ableiter, Kombi-Ableiter | LPZ 0A → LPZ 1 | Ableiter der Kategorie D1 |
Überspannungs-Ableiter für Verteilung, Unterverteilung, feste Installation | LPZ 0B → LPZ 1 oder LPZ 1 → LPZ 2 | Ableiter der Kategorie C2 |
Überspannungs-Ableiter für Steckdose / Endgerät | LPZ 1 → LPZ 2 oder LPZ 2 → LPZ 3 | Ableiter der Kategorie C1, C2 |
Tabelle 2: Bezeichnung und Installationsort der Ableiter in informationstechnischen Netzen
Bild 4: Beispielhafter Aufbau informationstechnischer Systeme
und ihrer Zuordnung zu Blitzschutzzonen
Einen weiteren Übergang von LPZ 0 zu LPZ 1 bildet aus schutztechnischer Sicht der Übergabepunkt des öffentlichen Telekommunikationsdiensteanbieters zum Betreiber des Call-Centers (vgl. Bild 4). An dieser Stelle erfolgt der Einsatz von SPDs, die Blitzteilströme führen können; häufig verwendet man hierzu Gasentladungsableiter. Die TK-Anlage selbst ist hingegen als LPZ 2 definiert, die dort ankommenden Leitungen sind daher erneut über SPDs zu führen. Gleiches gilt für die abgehenden Nebenstellenleitungen (LPZ 2 auf 1).
Der Etagenverteiler, der an sich LPZ 2 angehört, rangiert die Nebenstellenleitungen dann auf die einzelnen Arbeitsplätze. Dies geschieht aber ausschließlich mittels passiver Komponenten. Ein Einsatz von SPDs für Nebenstellenleitungen beim Eintritt und beim Verlassen des Etagenverteilers ist deshalb sowohl technisch als auch ökonomisch nicht zu rechtfertigen. Im schutztechnischen Sinne befindet sich dann an dieser Stelle des Etagenverteilers nur LPZ 1. Das ist eine durchaus praxistaugliche Vorgehensweise, wenn man eine solche "Enklave" mit geeigneten Schirmungsmaßnahmen von der LPZ 2 des restlichen Etagenverteilers separiert. Die vom Etagenverteiler (Patchfeld) abgehenden Datenleitungen werden daher durch Überspannungsschutzgeräte gepatcht (vgl. Bild 5).
Bild 5: Überspannungsschutzgerät zum Schutz von
Aktivkomponenten im Etagenverteiler
Der Einsatz von SPD in der Niederspannungs-Verbraucheranlage weist gegenüber Anwendungen außerhalb der IT keinerlei Besonderheiten auf (s. bspw. [1] oder [2], vgl. Bild 6). Man sollte allerdings darauf achten, dass die Überspannungsschutzeinrichtungen der Anforderungsklasse B ein Blitzstrom-Ableitvermögen aufweisen, das in der Prüf-Wellenform 10/350 µs angegeben ist. Da auch diese SPDs der unterschiedlichen Anforderungsklassen untereinander koordiniert sein müssen, sind unbedingt die entsprechenden Hinweise der Hersteller zu beachten.
Bild 6: Beispielhafter Einsatz von
Überspannungsschutzeinrichtungen in der Stromversorgung
Bild 7: Mehrfachsteckdosenleiste mit integriertem
Überspannungsschutz der Anforderungsklasse D im
IT-Etagenverteiler
Die neuen Blitzschutz-Vornormen bieten – besonders für hochverfügbare elektronische Systeme – die Möglichkeit zukunftsorientiert, flexibel und zuverlässig zu planen. Eine normgerechte Risikoanalyse schafft zusätzliche Planungssicherheit bei der Erstellung eines technisch adäquaten und wirtschaftlichen Schutzkonzeptes. Die Ausführung der geplanten Schutzmaßnahmen erfolgt dann sinnvollerweise im Einklang mit den Schutznormen DIN V VDE V 0185 Teil 3 und Teil 4 . Die neuen Vornormen bilden somit die Grundlage dafür, die hohen Erwartungen an die Verfügbarkeit der energie- und informationstechnischen Systeme in modernen Daten- und Kommunikationsnetzen im Falle einer Blitzbeeinflussung zu erfüllen.
Manfred Kienlein ist staatlich geprüfter Elektrotechniker und im technischen Marketing bei der DEHN + SÖHNE GmbH & Co. KG.
© SecuMedia-Verlags-GmbH, 55205 Ingelheim (DE),
<kes> 2003#1, Seite 16