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Open Source Software als Chance für mehr Softwarevielfalt in der Verwaltung

Von Horst Samsel, Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung (KBSt)

Monokulturen erhöhen das Risiko von Schädlingsbefall. Das gilt auch für Software, wie man spätestens durch den LoveLetter-Wurm erfahren musste. Zudem schafft Einheitssoftware Abhängigkeiten von Herstellern und Lieferanten. Open Source Software könnte hier eine vielversprechende Alternative aufzeigen.

Im Bereich der Standardsoftware war in den letzten Jahren in der öffentlichen Verwaltung wie auch in anderen Bereichen eine deutliche Tendenz zur Vereinheitlichung der verwendeten Software zu beobachten. Ursache hierfür dürfte unter anderem die zunehmende Vernetzung sein und der damit verbundene Zwang, stärker als früher auf Interoperabilität und Kompatibilität zu achten. Als führendes Betriebssystem bei den Bürosystemen in der öffentlichen Verwaltung dürfte sich Windows NT durchgesetzt haben, das verbreiteste Office-Paket auf den Arbeitsplätzen dürfte Microsoft Office 97 sein.

Diese Entwicklung zur Vereinheitlichung hatte jedoch auch zur Folge, dass die Verwaltung in manchen Bereichen in eine zunehmende Abhängigkeit von einzelnen Herstellern von Software geraten ist. Mit Abhängigkeit ist der Umstand gemeint, dass das gesamte System stark auf bestimmte Standardsoftware-Produkte ausgerichtet wird. Das gilt für die Datenstruktur ebenso wie für eigene Anwendungen, die so programmiert werden, dass sie mit der entsprechenden Standardsoftware zusammenarbeiten. Zum anderen ergibt sich eine zusätzliche Abhängigkeit daraus, dass einzelne Softwarehersteller in bestimmten Marktsegmenten (z. B. Betriebssysteme, Office-Pakete, Datenbanken) eine dominierende Marktposition entwickeln, die faktisch in manchen Fällen einer Monopolstellung gleichkommt.

Die Abhängigkeit kommt darin zum Ausdruck, dass der Wechsel zu Produkten eines anderen Softwareanbieters gar nicht oder nur mit großem Aufwand oder Verlust an Funktionalität möglich ist.

Das Bewusstsein für diese Abhängigkeit entstand im Bereich der Bundesverwaltung erstmals vor etwa zwei Jahren. Nachdem die Bundesverwaltung sich vor einigen Jahren auf das Dokumentenaustauschformat .pdf geeinigt hatte, hatte die Firma Adobe den Preis einer neuen Softwareversion ihres Programms zur Erzeugung dieser .pdf-Dateien für die öffentliche Verwaltung um ein Mehrfaches angehoben.

Ein weiterer Fall, den viele in der öffentlichen Verwaltung als Erlebnis der Abhängigkeit empfunden haben, war die Änderung der Lizenzbedingungen durch Microsoft im vergangenen Jahr. Für die öffentliche Verwaltung stellte sich diese Änderung als deutliche Verschlechterung der Lizenz- und Preisbedingungen dar. Gleichwohl musste die Änderung hingenommen werden.

Ein weiterer Nachteil aus der flächendeckenden und einheitlichen Verwendung desselben Produkts ist erstmalig vor zwei Jahren mit dem Aufkommen des LoveLetter-Wurms offenkundig geworden. Zu der enormen Verbreitungsgeschwindigkeit und dem gewaltigen Schadensausmaß konnte es bei dieser Virenattacke nur kommen, weil weltweit fast überall dasselbe E-Mail-Programm im Einsatz war. Loveletter war so programmiert, dass es Funktionen und Schwachstellen dieses Programms ausnutzte, um sich schadenstiftend zu verbreiten. Behörden, die andere E-Mail-Programme benutzten, waren von dem Vorfall gar nicht betroffen, während die Mailsysteme anderenorts überwiegend zusammengebrochen sind.

Bundesinnenminister Otto Schily hatte bereits damals – in der aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages am 11. Mai 2000 – auf das Problem der Monokulturen im IT-Bereich hingewiesen.

Eckpunkte

Aus der Sicht der Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung (KBSt) ist im Bereich der Standardsoftware eine gewisse Softwarevielfalt ein strategisches Ziel. Damit soll kein bunter Flickenteppich unterschiedlicher Softwareprodukte angestrebt werden. Aber es gilt eben auch nicht, Interoperabilität und Kompatibilität dadurch zu erreichen, dass alle dasselbe Produkt nutzen. Ein weiteres strategisches Ziel ist es, die Unabhängigkeit von einzelnen Softwareherstellern zu wahren.

Diese Ziele lösen die bisher geltenden Kriterien für Entscheidungen im Softwarebereich nicht ab (z. B. Funktionalität und Wirtschaftlichkeit). Sie treten aber neben diese Ziele und sollten bei Entscheidungen über den Softwareeinsatz mit berücksichtigt werden.

Softwarevielfalt und Unabhängigkeit von einzelnen Herstellern bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass zu Open Source Software (OSS) als Alternative gegriffen werden muss. In vielen Bereichen gibt es gute proprietäre Alternativen, die oftmals unverdient ein Schattendasein führen. Auch durch sie kann ein wichtiger Beitrag zu Softwarevielfalt und Unabhängigkeit von den jeweils marktdominierenden Herstellern erreicht werden.

Open Source Software allerdings bietet ein besonderes Potenzial, weil es hier mit Linux und FreeBSD Alternativen auch im Bereich der Betriebssysteme gibt. Zudem bietet Open Source Software mit der Offenlegung des Quelltextes und der General Public License (GPL) als Lizenzmodell weitere spezielle Rahmenbedingungen, die für die Verwaltung zusätzliche Vorteile bieten können.

Förderung von Open Source

Die KBSt hat das Thema Open Source Software bereits früher aufgegriffen. Bereits vor zwei Jahren haben wir die Verwaltung mit dem KBSt-Brief 2/2000 und zwei Workshops der KBSt in Brühl auf die Alternative "Open Source Software" aufmerksam gemacht und die Diskussion über das Potenzial von Linux in die Verwaltung hineingetragen.

Dadurch bildeten sich zugleich innerhalb der Verwaltung erste Kontakte. Dabei wurde deutlich, dass auch in der öffentlichen Verwaltung schon eine Reihe von Projekten mit Linux liefen. So hat das BSI bereits vor einigen Jahren begonnen, im Zusammenhang mit der Entwicklung von Sicherheitsprodukten auf Linux zu setzen. Aber auch bei Behörden wie beispielsweise dem Bundesamt für Finanzen oder dem Beschaffungsamt des Bundesministerium des Innern (BMI) ist Linux bereits seit längerem im Einsatz.

Zugleich gab es in den letzten Jahren eine Reihe politischer Entscheidungen, durch die der Einsatz von Open Source Software in der Verwaltung unterstützt wurde. So hat der Deutsche Bundestag am 9. November 2001 in einer Entschließung "Deutschlands Wirtschaft in der Informationsgesellschaft" gefordert, "Open Source Software zu fördern und alle Voraussetzungen zur Einführung von Open Source in der Bundesverwaltung zügig zu schaffen". Auch die Innenministerkonferenz hat im Herbst 2001 beschlossen, "dass im öffentlichen Bereich künftig verstärkt Software eingesetzt werden soll, deren Quellcode offengelegt ist".

Auf dieser Grundlage ist es inzwischen – vielfach nach umfangreichen vorangegangenen Untersuchungen – zu einer Reihe von Entscheidungen auf der Verwaltungsebene gekommen, durch die der verstärkte Einsatz von freier und offener Software in der Verwaltung vorgesehen ist.

Bereits im Herbst 2001 hat das Bundesministerium des Innern selbst die Entscheidung getroffen, seine bisherigen Windows-NT-Systeme nur zum Teil durch neuere Windows-Systeme zu ersetzen. Im Bereich der Server und Dienste soll die bisherige Windows-NT-Umgebung durch eine gemischte Welt aus Windows und OSS-Systemen ersetzt werden. Im Bereich der Arbeitsplätze selbst (Clients) wird künftig Windows XP eingesetzt.

Besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hat im Frühjahr 2002 die OSS-Entscheidung des Deutschen Bundestages gefunden. Der Deutsche Bundestag wird noch stärker als das Innenministerium zukünftig auf Open Source Software setzen und im Serverbereich weitgehend dahin wechseln.

Diese beiden Entscheidungen stehen stellvertretend für eine ganze Reihe von Untersuchungen und Entscheidungen, die gegenwärtig erfolgen, und zeigen eine deutliche Tendenz zur Ablösung der Windows-NT-Systeme in den nächsten Jahren. Sie zeigen den in vielen Behörden verbreiteten Wunsch, mehr freie und offene Software einzusetzen. Zugleich zeigt sich in diesen Kompromissentscheidungen aber auch die Skepsis, ob die Nutzung von Open Source Software – besonders auf den Arbeitsplätzen, im unmittelbaren Kontakt mit dem Anwender – funktionieren und akzeptiert wird.

Das Bundesministerium des Innern hat deshalb seine Bemühungen um Open Source Software nochmals verstärkt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erhielt den Auftrag, auf der Grundlage einer zuvor durchgeführten Abfrage ein Programm aufzulegen, mit dem die Nutzung von Open Source Software in der öffentlichen Verwaltung gefördert wird. Im Rahmen dieses Programms führt das BSI Entwicklungen und Studien durch und unterstützt diejenigen Bundesbehörden, die bereit sind in Pilotprojekten den Einsatz freier und offener Software auf Arbeitsplätzen zu erproben.

Außerdem wird durch die Herstellung von Kontakten und Erfahrungsaustausch in einem OSS-Anwenderforum eine bessere Vernetzung der Aktivitäten im Bereich der öffentlichen Verwaltung zur Einführung von Open Source Software erreicht. Es kommt dadurch zu einer besseren Synchronisation der Projekte und Doppelarbeit wird vermieden.

Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und freien Softwareentwicklern. So haben Bundesinnenminister Otto Schily und Erwin Staudt von IBM Deutschland Anfang Juni eine "Kooperationsvereinbarung über die Förderung des Einsatzes von freien und offenen Systemen (Open Source Software, Linux) in der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland" unterschrieben

IBM hat mit dieser Kooperationsvereinbarung seine Konditionen für die öffentliche Verwaltung zum Bezug von Produkten des Hauses gegenüber den bestehenden Rahmenverträgen noch einmal verbessert. Das gilt auch für Produkte der SuSE AG, deren Vertriebspartner IBM ist. Außerdem wird IBM den Nutzern aus der öffentlichen Verwaltung eine Open-Source-Beratungshotline und ein Open-Source-Portal kostenfrei zur Verfügung stellen.

Das BSI hat zugleich neue Wege in der Softwareentwicklung beschritten. Bei der Entwicklung eines Verschlüsselungs-Plug-ins für den E-Mail-Client KMail erfolgte nicht nur die Entwicklung als OSS-Projekt. Die erstellte Software wird auch unter die General Public License gestellt und damit selbst zu Open Source Software.

Erstmalig haben sich zudem BMI und BSI 2002 aktiv am LinuxTag in Karlsruhe beteiligt, mit einer eigenen Vortragsreihe im Rahmen des Business-Kongresses und einem Messestand.

Ausblick

Ziel ist es, den Entscheidungsträgern in der öffentlichen Verwaltung bei der Entscheidung über die Zukunft ihrer IT-Systeme realistische Alternativen aufzuzeigen. Eine Alternative zu haben, verbessert die Position jedes Kunden. Darüber hinaus besteht in den nächsten Jahren mit der bevorstehenden Ablösung der Windows-NT-Systeme eine Chance dafür, dass wir am Ende dieses Prozesses zu einer heterogeneren und damit robusteren IT-Infrastruktur gelangen und zugleich etwas Unabhängigkeit zurückgewinnen.

Open Source Software bietet das Potenzial für eine Alternative zu herkömmlicher Standardsoftware. Im Serverbereich ist das inzwischen unbestritten. Im Clientbereich gibt es erste Projekte auch in der Verwaltung, aber auch noch viel Skepsis. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang Open Source Software als Alternative in Betracht kommt, kann letztlich nur konkret, bezogen auf die jeweiligen IT-Systeme, getroffen werden.

Die KBSt sieht ihre Aufgabe darin, IT-Entscheidern bei dieser Fragestellung durch Vermittlung von Kontakten und Informationen Hilfestellung zu geben. Geplant ist auch die Herausgabe eines Migrationsleitfadens, in dem die Alternativen und der Weg zu einer Entscheidung aufgezeigt werden sollen.

Weitere Informationen auf www.kbst.bund.de oder per E-Mail von Horst.Samsel@bmi.bund.de

© SecuMedia-Verlags-GmbH, D-55205 Ingelheim,
KES 2002/5, Seite 41