Die gesetzeskonforme digitale Signatur ist tot, es lebe die gesetzeskonforme elektronische Signatur. Und die kommt nach dem neuen deutschen Signaturgesetz (SigG) gleich in Familienstärke auf uns zu: Im Sinne des SigG sind elektronische Signaturen zunächst einmal alle "Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen". Authentifizierung hat hier eine sehr rudimentäre Bedeutung: Bereits ein Name in ASCII-Zeichen unter einer E-Mail dürfte nach dieser Definition als "gesetzeskonforme" elektronische Signatur durchgehen.
Denn Signatur-Schlüssel und die eindeutige Zuordnung zu einer Person kommen erst bei fortgeschrittenen elektronischen Signaturen ins Spiel, Zertifikate und sichere Signaturerstellungseinheiten erst bei qualifizierten elektronischen Signaturen, die in etwa den strengen Anforderungen der vormaligen gesetzeskonformen Signaturen des SigG von 1997 entsprechen. Eine Lizenzpflicht gibt es nicht mehr, Zertifizierungsstellen können sich aber freiwillig akkreditieren und anschließend mit der damit verbundenen "Sicherheitsüberprüfung" werben.
Das neue Gesetz, das die EU-Signaturrichtlinie in nationales Recht umsetzt, ist am 22. Mai 2001 in Kraft getreten. Die Rechtsfolgen der elektronischen Signaturen regelt es allerdings nicht: Hierfür ist das "Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr" zuständig, das derzeit im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat abschließend verhandelt wird. Auch eine Neufassung der Signaturverordnung (SigV), die nähere Einzelheiten festlegt, steht noch aus.
Bundeswirtschaftsminister Dr. Werner
Müller gab sich zum Gesetzesstart optimistisch: "Ich
freue mich, dass das neue Signaturgesetz jetzt in Deutschland als
einem der ersten EU-Länder geltendes Recht ist. Ich bin mir
ganz sicher, dass die elektronische Unterschrift den IuK-Markt in
Zukunft noch stärker beleben wird." Die erforderliche
Anpassung der Formvorschriften soll rasch folgen und die SigV
ebenfalls noch dieses Jahr über die Bühne gehen: Das
Bundeswirtschaftsministerium strebe an, die Verordnung nach ihrer
Notifizierung bei der Europäischen Kommission im Herbst
zeitnah dem Bundeskabinett zur Verabschiedung vorzulegen.
Auch der Providerverband eco begrüßt die
schnelle Umsetzung der EU-Richtlinie, grundsätzlich sei das
SigG sehr gelungen. eco-Vorstand Michael Rotert warnt aber davor,
die Erwartungen zu hoch anzusetzen, da erst einmal die Technik in
den Markt kommen müsse: "Es ist nun dringend notwendig,
dass Banken und E-Government Smartcards einführen, um eine
breite Anwendung zu fördern. Im Endkundenbereich wird das
psychologische Hemmschwellen abbauen. Das ist für das
Anschieben des E-Commerce und die Akzeptanz des Mediums Internet
generell nicht zu unterschätzen." Im B2B-Bereich erwartet
Rotert jedoch kaum Auswirkungen.
BITKOM sieht im neuen SigG
"die rechtliche Grundlage für eine rasche und umfassende
Verbreitung des elektronischen Handels". Der sichere Einsatz
der digitalen Signatur setze jedoch auch sichere Systeme und ein
Sicherheitsbewusstsein beim Anwender voraus. Wie einige
Medienberichte und die öffentliche Diskussion im Umfeld von
Trojanerangriffen auf Signatur-Umgebungen Mitte Juni gezeigt
hätten, sei nun eine "praktische Aufklärung
über Risiken und Möglichkeiten bei der Nutzung von
IT-Infrastruktur dringend erforderlich".
Die europäische Ausrichtung von elektronischen Signaturen
steht für TeleTrusT im Mittelpunkt: Nur
dadurch entstehe ein wirklich relevanter Markt.
TeleTrusT-Geschäftsführer Prof. Helmut Reimer:
"Leider ist der Spielraum für die juristische
Interpretation der Rechtsfolgen elektronischer Signaturen in
Deutschland durch das SigG-2001 gewachsen. In diesem Zusammenhang
entsteht derzeit eine 'Qualitätsdiskussion' um die
qualifizierte elektronische Signatur als europäische
Standardqualität und die 'höherwertige' deutsche
Signatur mit Anbieterakkreditierung. Der Markt wird durch diese
komplizierte Diskussion verunsichert und die europäische
Orientierung geschwächt." Es bestehe aber auch Hoffnung,
dass die notwendige Regulierung der Rahmenbedingungen mehr
Flexibilität für marktgerechte Lösungen
herausfordert.
Die DATEV erwartet vom neuen SigG,
dass es sich in seinen anspruchsvollen Anforderungen an
Zertifizierungsstellen durchsetzt. "Auch wenn die vorherige
Zulassung einer Zertifizierungsstelle durch die
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
(www.regtp.de) weggefallen ist, hoffen wir, dass sich qualifizierte
Zertifikate mit der zusätzlichen Möglichkeit einer
freiwilligen Akkreditierung der Zertifizierungsstelle durchsetzen
werden", so DATEV-Pressesprecher Thomas Milatz. Gerade die
Schadensersatzregelung für qualifizierte Signaturen werde ein
wesentliches Kriterium für die Vertrauensbildung und schnelle
Verbreitung elektronischer Signaturen sein: "Wer zwar sagt,
seine Produkte und Dienste seien sicher, sich aber über eine
Qualifizierung nicht zu einer Haftung bekennt, kann nicht mit dem
gleichen Vertrauen rechnen, wie jemand, der die höchsten
Ansprüche an seine Sicherheit stellt und diese auch nach
außen dokumentieren kann."
Überdies begrüßt die DATEV, dass nun die Bedürfnisse von Berufskammern berücksichtigt sind: Als zuständige berufsregisterführende Stellen sind sie künftig in den Zertifizierungsprozess eingebunden, wenn für Attributzertifikate eine Bestätigung über die Berufszugehörigkeit erwünscht ist.
Auch die Gesellschaft für Informatik
(GI) setzt auf die akkreditierten Zertifizierungsstellen:
"Bei der qualifizierten Signatur ohne amtliches
Gütesiegel kann sich der Nutzer hinsichtlich der Sicherheit
der Verfahren nur auf die Behauptungen der Diensteanbieter und
Produkthersteller verlassen. Welchen Wert die bloßen
Behauptungen mancher Unternehmen für die Qualität ihrer
Leistungen oder Produkte haben, hat die BSE-Krise gezeigt. Bei
Prüfungen von Fleisch- und Wurstwaren mit dem Aufkleber
'garantiert ohne Rindfleisch' kamen unabhängige Labors
zu ganz anderen Ergebnissen!" Zudem müssten nach
derzeitigem Stand nichtakkreditierte qualifizierte Signaturen nur
für die Dauer ihrer Gültigkeit und weitere zwei Jahre
überprüfbar sein: "Geht der Anbieter in Konkurs oder
stellt er seinen Betrieb ein, sind die qualifizierten Signaturen
schon früher nicht mehr prüfbar. Ein Dokument, das mit
solchen Signaturen unterschrieben wurde, verliert dann seine
Beweiskraft", so die GI in einer Pressemeldung. Nur
akkreditierte Zertifikate seien nach den neuen Regelungen für
mindestens 35 Jahre nachprüfbar.
Marcus Belke, Geschäftsführer der Deutschen Post SignTrust, sieht
die Einführung des Gütezeichens für akkreditierte
Zertifizierungsdiensteanbieter als wichtigste Neuerung an, da es
"für die Nutzer transparent macht, wann sie echte
Sicherheit einkaufen." Überdies brauche man nun dringend
die Verabschiedung des Schriftformänderungsgesetzes und die
neuen Verwaltungsverfahrensvorschriften.
Lukas Gundermann kommentiert für das Unabhängige Landeszentrum für
Datenschutz Schleswig-Holstein: "Aus der Sicht das
Datenschutzes ist die Neufassung des Signaturgesetzes insgesamt
gelungen. Es stellt einen geschickten Ansatz dar, das hohe
Sicherheitsniveau des alten Gesetzes durch das neue Instrument des
akkreditierten Zertifizierungsdiensteanbieters weiterleben zu
lassen. Unter dem Aspekt der Datenvermeidung ist es zu
begrüßen, dass die Möglichkeit zur Ausstellung von
pseudonymen Zertifikaten beibehalten wurde. Nach neuem Recht wurde
die Aufdeckung der wahren Identität des Pseudonyminhabers
vereinfacht; sie ist jetzt auch im Rahmen eines gerichtlichen
Verfahrens möglich. Dies wird hoffentlich eine
größere Zahl von Anbietern dazu bringen, auch im Rahmen
von vertraglichen Transaktionen Signaturen zu akzeptieren, die
unter Pseudonym abgegeben wurden."
Andreas Roth von der Telekom (Telesec) erwartet einen
Aufschwung: "Die abwartende Haltung der Industrie und der
öffentlichen Hand dürfte eine Ende haben. Das SigG wird
seine Anwendung hauptsächlich in der öffentlichen
Verwaltung, an der Schnittstelle Bürger/Verwaltung und bei
Berufsgruppen finden, die Standesrecht unterliegen
(Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer,
Ärzte, Apotheker etc.) Ein Großteil der
Geschäftsprozesse der Wirtschaft wird aber wie bisher auf
privatrechtlichen Grundlagen abgewickelt werden." Praktisches
Problem: Die Interoperabilität der SigG-konformen Trustcenter
lasse noch zu wünschen übrig. Die AG Trust Center
(www.t7-isis.de) und TeleTrusT arbeiten aber zurzeit an einer
gemeinsamen Spezifikation "ISIS-MTT" zur
Interoperabilität der Lösungen, die Ende des 3. Quartals
2001 fertig werden soll.
Auch Dr. Malte Borcherding, Technical Research Manager bei Brokat, erwartet in der nahen
Zukunft die Anwendung des SigG vorrangig im öffentlichen
Sektor und nicht im B2C-E-Commerce. Im Übrigen lobt auch er
das Werk: "Wir sehen das neue Signaturgesetz als einen
wichtigen Schritt vorwärts. Die Anforderungen sind praxisnah
und umsetzbar formuliert. Die Unternehmen können die
verschiedenen Sicherheitsstufen als Messlatte nutzen und ihre
Abläufe entsprechend überprüfen."
Etwas kritischer Rudi Klos, Consultant bei der TeleCash: "Die Regeln des
SigG fokussieren in erster Linie auf technisch und organisatorisch
sehr anspruchsvolle Technologien und Regeln, die dann entsprechende
Preise für die Komponenten und Anwendungen treiben. Wir
denken, die große Herausforderung wird sein: Lösungen,
Anwendungen und Finanzierungsmodelle zu finden, die die breite
Bevölkerung ansprechen. Eine Schlüsselrolle werden hier
sicherlich die Banken spielen. Wenn es gelingt zum Beispiel
Homebanking und Bezahlen im Internet über die gleiche Technik
abzuwickeln, die auch für die digitale Signatur verwendet
wird, dann hat eine schnelle Verbreitung gute Chancen."
Jörg-M. Lenz, Marketing Manager bei SoftPro, bezweifelt, dass die
Signatur wirklich ein vollständiger Ersatz der
handschriftlichen Unterschrift sein kann: "Für einen
verlässlichen E-Commerce ist die sichere Authentifizierung der
Nutzer mindestens genauso entscheidend wie die Integrität der
übertragenen Daten. Die Achillesferse der elektronischen
Signatur in ihrer derzeit praktizierten Form hat drei Buchstaben:
PIN." Hier sieht SoftPro als Instrument für die
Nutzer-Authentifizierung die Biometrie als
Schlüsseltechnologie und setzt auf eine explizite Aufnahme als
Alternative zur Geheimzahl (PIN) in der SigV.
TC
Trustcenter sieht in der geplanten rechtlichen
Gleichstellung der qualifizierten elektronischen Signatur mit der
handschriftlichen Unterschrift indes die Basis für
paneuropäische Online-Geschäfte. Und mit der Initiative
"Bund online 2005" leiste die Regierung wichtige
Lobby-Arbeit. Dennoch werde die Umsetzung des SigG ein gewaltiger
Kraftakt, und auf dem Weg zur Akzeptanz sei noch viel
Aufklärungsarbeit erforderlich.
© SecuMedia-Verlags-GmbH, D-55205 Ingelheim,
KES 3/2001, Seite 6