Editorial

Porträtfoto Norbert Luckhardt

Odyssee im Cyberspace

Es soll sich ja schon mal jemand auf den Weg gemacht haben, um einen sagenhaften Schatz zu finden (stimmt, das war nicht Odysseus). Aber kurz nachdem die heimische Küste außer Sicht war, fingen die Probleme an und irgendwann ging es gar nicht mehr darum, Gold zu heben, sondern man wollte nur noch ohne große Verluste wieder heimkommen. Auch auf der Suche nach den Reichtümern des Cyberspace begegnen uns etliche Irrfahrten. Oft genug weiß der Kapitän beim Auslaufen noch gar nicht, wo er eigentlich hin will, ruft aber voller Überzeugung: "Lasst uns schon mal losfahren, damit die anderen nicht vor uns da sind!"

Gar nicht so selten schnappt man sich dazu die größten Kähne, die zu haben sind, um später auch ja alle Schätze einladen zu können. Und die paar Mann Besatzung, für die die Kriegskasse dann noch reicht (manchmal findet man auch einfach keine Leute, Geld hin oder her – dazu mehr auf S. 22), haben alle Hände voll zu tun, die vielen Löcher zu stopfen, die sich an den abgelegensten Stellen ihrer dicken Pötte auftun – manchmal kommen sie vor lauter Lenzpumpen-installieren oder Wasser schöpfen gar nicht mehr dazu, auf den Kurs Acht zu geben.

Interessant sind auch manche Versuche, Sirenen-sichere Schiffe zu entwickeln: "Kann Ihre Besatzung den Verlockungen von E-Mail-Attachments nicht widerstehen und steuert schnurstracks auf die VBS-Klippen zu, wenn die Sirenen von Liebe singen? Kein Problem! Kaufen Sie unsere Boote mit Geradeausfahrsperre; auch der Ausguck kann nur zur Seite sehen. Ein Sichtschutz für den direkten Weg verhindert – außer in den sicheren Häfen von ZIP –, dass ihr Schiff geradewegs ins Verderben fährt." Als würde niemand auf die Idee kommen, für sein Verlangen auch einen Umweg in Kauf zu nehmen ...

Es der Outlook-Besatzung schwerer zu machen, gefährliche Programme zu starten, indem man einfach alle Dateianhänge verbietet und nicht mehr nur den lästigen Umweg über das Speichern auf Festplatte zur Regel erhebt, sondern auch das zusätzliche Entpacken aus einem Archiv ... Das dürfte zu grummeligen Anwendern führen, die Warnmeldungen noch weniger beachten als vorher, weil sie nun jedes Mal mehr Zeit brauchen, um ihre Ziele zu erreichen. Kaum zu glauben, dass jemand auf riskante Anhänge stärker achtet, nur weil er sie auspacken muss, wenn genau dieses Auspacken zum Standardverfahren erhoben wird.

Wo auch immer sie gerade kreuzen: Wir wünschen allen Kapitänen und Steuerleuten, dass sie ein klares Ziel vor Augen haben und navigieren können, statt sich treiben lassen zu müssen. Ein paar neue Wegmarken wird sicherlich der BSI-Kongress Mitte Mai geben (s. S. 24). Bleiben Sie auf Kurs – und: immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel!

Norbert Luckhardt

© SecuMedia-Verlags-GmbH, D-55205 Ingelheim,
KES 2/2001, Seite 3